Wer ruhig bleibt, überlebt

Der Psychoanalytiker und Schriftsteller Dr. Wolfgang Schmidtbauer in „Was wirklich zählt – 18 Mal Hoffnung in Krisenzeiten“ – erscheint am 027.04.2025

„Wer trotzdem ruhig bleibt, weiter atmet und isst, der überlebt.
Die Kränkung des Verlassenwerdens ertragen, Rückschläge verarbeiten, sich selbst eine falsche Entscheidung verzeihen, die Trauer über einen schlechten Zustand aushalten – das ist es, worauf es wirklich ankommt. Und doch kann es die schwerste Option sein: Nichts zu tun. Negative Capability nennen wir das in der Psychoanalyse. Die Ohnmacht aushalten lernen. Sich zugestehen, dass man in dieser Situation jetzt wirklich nichts machen kann und dass genau darin oft die beste Lösung liegt.
Wir können keine perfekte Welt erschaffen. Wir können nicht vorsorgen, dass uns nie wieder etwas Schreckliches passiert. Es ist eine Illusion, dass sich alle Kränkungen, alle Fehler vermeiden lassen, wenn ich mich nur richtig verhalte.
Eine andere Form von manischer Abwehr erlebe ich immer wieder in der Paartherapie. Wenn mein Partner irgendetwas macht, was ich schlecht aushalte, dann kann ich mich natürlich von ihm trennen. Ich suche mir jetzt jemand Neuen, bei dem diese Gefahr nicht mehr besteht. Und dann lerne ich den Nächsten kennen, und der hat wieder eine andere unerträgliche Eigenschaft. Irgendwann sagt sich diese Person: Ich bin jetzt 40Jahre alt, und ich bin eigentlich attraktiv und gesund und habe einen tollen Beruf. Wieso lerne ich niemanden kennen, mit der oder dem ich eine Familie gründen kann?
Leider ist das ein recht häufiges modernes Lebensschicksal. Singles sind die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe.
In einem sehr viel langwierigeren Prozess, der aber auf Dauer gesehen mehr verspricht, helfen die Partner sich gegenseitig, ihre unangenehmen Seiten in einer Beziehung zu ertragen. Das ist ein Lernprozess, aber beide müssen halt kooperieren.
Gerade Paarbeziehungen sind den Verführungen durch die Konsumgesellschaft stark ausgesetzt, das Angebot ist schier unerschöpflich. Den Menschen, der mir nicht mehr passt, behandle ich dann so, wie ich es von nicht mehr funktionierenden Geräten kenne: Ich schmeiße ihn weg, tausche ihn um und schaue, dass ich was Besseres kriege.
Was auch statistisch nachweislich zugenommen hat, ist die Zahl von Menschen, die einfach keine reale sexuelle Beziehung mehr wollen. Gerade die jungen Männer ziehen sich halt lieber Pornos rein und befriedigen sich selbst, weil sie sich sagen: Reale Nähe und echte Frauen sind mir zu stressig. Das ist eine absolut neuartige Entwicklung. Die hat natürlich mit dem über-optimalen Angebot in den digitalen Medien zu tun. Sowohl was das Aussehen als auch das Funktionieren von Beziehungen angeht, verführt die Verfügbarkeit der Bilder zu manischen Ab-wehrreaktionen.
Wie der Schlüssel ins Schloss passen dazu die gigantischen Hochzeiten, die heute üblich geworden sind. Unter einem Budget von 30.000 Euro, einer Gästeliste von 100 Personen und einem Hochzeitskleid für 3.000 Euro wird es nicht mehr gemacht. Besonders grotesk sind TV-Rankings und gegenseitige Bewertungen des schönsten Tages im Leben.
„Nehmen Sie einem Durchschnittsmenschen die Lebenslüge, und Sie nehmen ihm zu gleicher Zeit das Glück“, lässt Henrik Ibsen Dr. Relling in „Die Wildente“ sagen.
Besser kann man er nicht beschreiben, was Psychoanalytiker unter manischer Abwehr verstehen: Meine Ehe soll nicht scheitern, wie bei vielen anderen Paaren! Wenn ich so viel Geld und Zeit investiere, wenn ich so viele Menschen als Zeugen unserer Liebe einlade, dann wird und muss mir das gelingen – so die Illusion, die durch diese Hochzeitsshows medial transportiert wird.
Auch die Eheversprechen werden immer wortreicher und schwärmerischer. Ein realistisches Gelöbnis müsste meiner Meinung nach heißen: „Ich werde mich bemühen, mit deinen unerwünschten Seiten klarzukommen.“ Klingt nicht gerade romantisch, ist aber ein verlässlicher Ansatz.
Wenn meine Frau mich kritisiert, dass ich Haare im Abfluss zurückgelassen habe, dann entferne ich sie und ihre gleich mit, und das brauche ich ihr nicht zu sagen, dass auch von ihr Haare im Abfluss lagen. In unseren aufgeregten, rachsüchtigen Zeiten ist die schweigende Liebe ein unterschätzter Weg zum Glück. […]“

Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste (Jakob Hein)

Donnerstag. Der hochmotivierte Grischa aus Gera will loslegen:
Als bester Absolvent seiner Hochschule für Ökonomie tritt er seine erste Stelle in der Staatlichen Planungskommission Berlin an. Dort gibt es aber nichts zu tun, weshalb sein Chef ihn in die Tätigkeit des kunstvollen Wartens einweist. Grischa will nicht kunstvoll warten, stattdessen arbeitet er einen Afghanistan-Plan aus: Zur Förderung der Handelsbeziehungen zwischen Afghanistan und der DDR. Doch Afghanistan hat nichts zu bieten außer Landwirtschaft – ja, aber Landwirtschaft mit Cannabis! Der Handel mit „Medizinalhanf aus afghanischer Produktion“ im Niemandsland des Grenzgebietes würde die Westjugend anlocken, mit ihrem Westgeld Cannabis zu kaufen. Zusätzlich zum Zwangsumtausch jedes Cannabiskäufers würde der Devisenhandel ungeahnten Schwung aufnehmen.
Grischa bekommt die Leitung des Pilotprojekts übertragen, seine Rechnung geht voll auf. Bis in einem Big Deal Fr. J. Strauß den Kollegen aus dem Osten eine Milliarde D-Mark bietet, wenn sie den inzwischen florierenden Handel wieder einstellen.
Dazu eine bezaubernde Freundschaft zw. Grischa und Cornelia Frühling … nachdem sich herausgestellt hat,  … Spoileralarm!
Ein Lächeln auf den Lippen der Leserin ist bis zum überraschenden Ende dieser flotten Politsatire garantiert.

Jakob Hein: Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste, Galiani Berlin, 2025

Ostern

Ostersonntag, Tübingen. Frühstück mit T. und E. und Baby Z. und meiner Freundin A., Ostereier,  Kochen und Braten, viel und reichlich essen, quatschen, spielen, spazierengehen.
PM zwischen meinen Lieben, mit einem vorsichtigen Lächeln auf den Lippen …
Es hat gut geschmeckt, sagt T. und reibt sich seinen flachen Bauch. A beautiful day, an Easter day.

Leuchten

Samstag, Tübingen. Und noch ein Grund zur Freude: Gestern, an Karfreitag, erreicht mich die wunderbare Nachricht, dass ich auf dem Tübinger Bücherfest 2025 lesen darf. Was wirklich zählt – 18 Mal Hoffnung in Krisenzeiten scheint das Buch zur Weltlage. Es weckt Interesse. Vier Jahre Arbeit zahlen sich aus. Das Buch ist, wie der Vorgänger Lass uns über den Tod reden (Ch. Links, Berlin 2019), eine Überzeugungstat:
Ich wollte etwas herausfinden und habe mich auf den Weg gemacht, um Antworten zu bekommen.  Schiele nie auf die Leser!, hat mir mal eine bekannte Autorin geraten.
Ich glaube, am besten wird ein Buch, wenn du es für dich selbst schreibst. Dann fängt es an zu leuchten.

Ich und mein

Der deutsch-irakische Schriftsteller Najem Wali in: „Was wirklich zählt – 18 Mal Hoffnung in Krisenzeiten“ – erscheint am 27.04.2025

„Nach 23 Jahren in Deutschland kam ich für 23 Tage zurück.
Für jedes Jahr einen Tag. Als ich nach all den Jahren zurückkam, war es ein Schock.
Eine Diktatur, drei Kriege sowie zwölf Jahre UN-Wirtschaftssanktionen hatten nicht nur die Infrastruktur des Landes völlig zerstört, sondern auch die Menschen verändert. Die für Basra typischen, weiten Dattelpalmenhaine waren ausgetrocknet, die Bewässerungskanäle versumpft und vermüllt, die Bevölkerung verarmt. Mit dem acht Jahre währenden iranisch-irakische Krieg, dem Krieg gegen Kuweit und der amerikanischen Invasion hatten sich Elend, Umweltvergiftung und Krankheiten ausgebreitet. In Bagdad sah ich die Häuser mit ihren kunstvollen Fassaden verfallen, die ganze Stadt war kaputt, und niemand hatte Geld, sie wiederaufzubauen. Ein Embargo trifft die einfachen Menschen und die Mittelschicht immer am härtesten. Die Herrschenden dagegen kommen durch, weil sie andere Wege, Schwarzhandel et cetera, finden.
Natürlich war das Glück des Wiedersehens groß, doch nach 23 Jahren war ich meiner Familie fremd geworden. Schon bald wurde ich zunehmend als Störfaktor wahrgenommen. Meine Familie hatte sich, wie alle anderen, den politischen Verhältnissen angepasst, sie befürchtete, durch mich in Schwierigkeiten zu geraten. Mein Bruder nahm mich nicht mehr mit auf den Markt, weil es mir als vergleichsweise wohlhabendem Besucher schäbig vorkam, um die Preise zu feilschen. Und mit meinen freien Umgangsformen provozierte ich wohl die Leute in der Nachbarschaft. Am zweiten, dritten Tagen entdeckte ich selbst, dass ich hier nicht mehr hinpasste, auch nicht in die Familie.
Individualität zählt im Irak seit jeher wenig, das ist auch eine Sache der Tradition. Ein Beispiel: Wenn die Familie mittags oder abends zusammen isst, dann essen sie alle aus einem Teller. Ich möchte aber, wie ich es in Deutschland gelernt habe, meinen eigenen Teller haben. Und schon bin ich für sie der Deutsche, während ich für die Deutschen der Iraker bin. Am zweiten Tag meines Besuches bin ich dann zur alten Tradition zurückgekehrt, die ich schon fast vergessen hatte. Ich musste mich anpassen, um mit ihnen zusammen die Mahlzeit einzu-nehmen.
Im Irak sagt kein Kind ‚meins‘.
Das Possessivpronomen existiert in irakischen Familien nicht. Deshalb habe ich bis heute Schwierigkeiten mit dem Wort meins. Ich sage lieber der Teller als mein Teller. Deutsche Kinder dagegen lernen in ihren Familien als Erstes zwischen mein und dein zu unterscheiden. Schon im Kindergarten sagen sie meine Zahnbürste, mein Handtuch. Was in Deutschland selbstverständlich ist, hat für mich zu erheblichen Missverständnissen geführt, auch in Beziehungen. Ich habe meinen deutschen Freundinnen und Freunden oft vorgeworfen, Egoisten zu sein.
Im Irak gilt einer, der seinen eigenen Teller haben will, als verdächtig. Mit dem stimmt was nicht. Auch wenn ein Kind alleine spielt, in ein anderes Zimmer geht – vorausgesetzt, es gibt überhaupt ein anderes Zimmer –, wenn es lieber allein ist als mit anderen Kindern zusammen, dann heißt es in der Familie: Mit seiner Psyche ist etwas nicht in Ordnung.
Meine erste Kurzgeschichte habe ich mit 16 geschrieben. Da saß meine Mutter mit zwei Nachbarinnen im Zimmer, und ich hockte in einer Ecke. Ich wollte damals immer einen Schreibtisch haben, aber das kam nicht infrage. Die Frauen waren sich sowieso einig: Der Najem spinnt, der ist ein Verrückter! Nachher, als ich von Deutschland aus die Familie unterstützt habe, da wussten sie, dass ich nicht verrückt war, sondern der einzige Schlaue in einer Familie, die während des Embargos alles, was sie je verdient und besessen hatte, verlor.
Mein erstes eigenes Zimmer bekam ich, als ich schon in Bagdad Student war. …“

Crowdfunding

Freitag, Tübingen. Das Crowdfunding zur Unterstützung der Jungen Texte aus Eisenach hat seinen Zweck schon fast erfüllt. Ich bin beeindruckt und tief bewegt und sehr, sehr dankbar.
Erst vor wenigen Tagen, am Montag, war ich bei T. vom Eisenacher Kunstverein, wo wir den Begleittext formuliert und das weitere Vorgehen besprochen haben. Um von einer unbekannten Menschenmenge, die mein Projekt Junge Texte aus Eisenach sympathisch findet, das Geld für den Buchdruck zu sammeln. Geld auch für die Feier am 28. Mai im Eisenacher Stadtschloss. Zielvorgabe: Rund 2000 Euro! Wie sollte jemals so viel Geld reinkommen?

Heute, nach fünf Tagen, ist das Ziel zu 91 % erreicht. Ich glaube es immer noch nicht so ganz: Spenden von ehem. Mitschülern der Schule, die ich mit 15 verließ!, Spenden von vollkommen Unbekannten über Facebook, Spenden von Beret aus Kiel, von Dorle, von Adelheid, von … von … von Freundinnen und Freunden. Die allergrößte, unglaublich großzügige Spende von einer Freundin meiner nächsten Schule, (aus, sagen wir, familiären Gründen habe ich drei Schulen in der Oberstufe verschleißt). Erst vor knapp zwei Wochen haben wir uns beim Klassentreffen in Essen-Werden wiedergesehen und auf Anhieb wiedergemocht.
Einfach überwältigend, wer alles Teil meines Herzensprojekts geworden ist.  Das verbindet. Nicht wegen dem Geld (na ja, auch), sondern weil Sympathie und Liebe dahinter aufleuchten.
Die Einladungskarten für die Feier im Schloss sind in Druck.
Ich bin gerade in Tübingen und kann es kaum glauben. Plötzlich läuft es. Die Feier, die feierliche Übergabe der Bücher an meine 38 Jungautor*innen, war mir von Anfang an wichtig – jetzt steht ihr nichts mehr im Weg. Die Jungen Texte berühren die Herzen. Wie cool ist das denn?

Lieber Lumpenpazifistin als Edelbellizistin

Donnerstag, Tübingen. Gelegentlich als Lumpenpazifistin tituliert, stelle ich klar, dass ich entschieden lieber in einer Reihe mit Heinrich Mann, Romain Rolland, Hermann Hesse, Albert Einstein, Max Planck, Stefan Zweig … und allen voran Bertha von Suttner stehe (um nur die maßgeblichen Pazifist*innen vor dem 1. WK zu nennen), als mit Edelbellizist*innen wie Baerbock, StrackZimmermann, Kiesewetter und sämtliche Mitläufer*innen, die gerade auf den Zug aufspringen, um von der Chaiselongue aus einen Krieg zu befeuern, der nicht zu gewinnen ist. Aber die Toten sind ja noch nicht unsere Toten, da lässt sich’s ungestraft ins Kriegsgeschrei einstimmen.

Frohe Ostern

Mittwoch. Auch die Kleinen sollen mental kriegstüchtig gemacht werden  – die putzigen Kampfosterhasen einer Tübinger Bäckerei leisten ganze Arbeit. Wie schon einige Monate zuvor der niedliche Taurus in der ZDF-Kindersendung logo!
Sind einfach inzwischen zu viele Menschen zeitlich zu weit weg vom Zweiten Weltkrieg, um sich Kriegsschrecken und Kriegsgrausamkeit vorzustellen? Mir sind die Erzählungen meiner Mutter von never ending Fliegerangriffen über Berlin und nächtelangem Hocken im Luftschutzkeller und noch mehr die nicht erzählten Geschichten meines mit 17 Jahren eingezogenen Vaters in die DNA geschrieben.
Wenn die schießenden Hasen so gut laufen, scheinen sie Tübingens überwiegend grüner Bevölkerung zu gefallen, die Gehirnwäsche à la Hofreiter/Baerbock/StrackZimmermann funzt. Gibts eigentlich schon das Ü-Ei mit Panzerchen? Frohe Ostern!

Eiskaffee

Dienstag. Hier erwartet niemand mehr was, sagt Angelika. Wir treffen uns im Freien bei Eiskaffee und vagem Sonnenschein. Ich bin beinahe tiefenentspannt. So ungewohnt: nach den abartig arbeitsreichen Wochen und Monaten plötzlich Land in Sicht!
Ich erwarte noch viel, sage ich.
Angelika nickt und sagt nichts.
Ist das die dunkle Wolke, die ich so oft auf mir spüre, seit ich hier lebe?
Wir hören uns zu, wir haben uns was zu sagen.

Alles kaputt

Der Unternehmer und Gastwirt Markus Bell in „Was wirklich zählt – 18 Mal Hoffnung in Krisenzeiten“ – erscheint am 27.04.2025

„Ursel und ich waren im Bell‘s, als das Wasser kam.
Am Abend waren wir zur Ahrtalbrücke gegangen, um uns ein Bild vom Stand des Hochwassers zu machen. Ursel hatte schon in ihrer Schule und ich mehrmals im Betrieb nach dem Rechten gesehen. Um Mitternacht wollten wir unserem Sohn zu seinem 18. Geburtstag gratulieren. Auf dem nächtlichen Weg zum Bell‘s merkten wir aber, dass das Wasser in unserer Fußgängerzone vom Kanal her irre schnell anstieg. Hier war überhaupt kein Fortkommen mehr, weshalb wir uns durch die rückwärtige Straße hinten herum Stück für Stück vorarbeiteten. Als wir endlich reinkamen, lösten wir hastig die Gesellschaft auf. Ungefähr 80 Jugendliche waren da am Feiern. Ein paar blieben, um uns direkt zu helfen den Keller leerzuräumen. Noch wussten wir ja nicht, wie hoch das Wasser steigen würde. Wie wild stapelten wir alle Möbel im Erdgeschoss aufeinander. Als das Wasser im Wintergarten einen Meter hochstand, wurde uns klar, dass die Scheiben nicht mehr lange halten würden. Wir sahen zu, dass die Jugendlichen rauskamen, noch funktionierte der Handykontakt zu den Eltern. Es ging alles wahnsinnig schnell. Dann war der Strom weg. Einer schrie: “Hier läuft‘s Wasser von hinten rein!“
Schwallartig schossen die Wassermassen in das Restaurant. Innerhalb weniger Sekunden ging es uns schon bis ans Knie. Wir hinten raus, wo uns eine Nachbarin durch die Flut entgegenwatete. Wir nahmen sie, ebenso wie die Mieter aus dem Hinterhaus, in unserem Bus und im Auto von unserem Sohn mit, das zum Glück auch noch da war.
Ohne groß nachzudenken, fuhren wir in die Weinberge. Dort oben befindet sich die Adenbachhütte. Zu Hunderten rasten die Leute da hoch. Irgendwie war das surreal. Wie im Film. Du hörtest Menschen rumschreien. Es war stockdunkel, nur Handylampen. Viele liefen noch höher die Weinberge rauf, weil sie Angst hatten, das Wasser würde ihnen nachlaufen, aber so weit kam es nicht.
Nach ungefähr einer Stunde bei dieser Hütte packte uns die Unruhe, und wir wollten nochmal versuchen, zu Fuß zum Betrieb zu gelangen. Wir liefen den ganzen Weg wieder zurück, während die anderen alle hoch in Richtung Adenbachhütte strömten. Doch als wir sahen, wie rasend schnell das Wasser anstieg, wurde uns klar, dass das Bell‘s mittlerweile bestimmt zwei Meter unter Wasser stand. Keine Chance, noch was zu retten. Deshalb wollten wir so schnell wie möglich versuchen, hier wegzukommen zu unserem Haus, das zum Glück weiter oben liegt. Aber die Autobahnzufahrt war gesperrt. Lauter Autos kamen uns mit Warnblinkern entgegen, und die Leute riefen: „Ihr könnt hier nicht weiter, die Straße steht unter Wasser!“
Die Zufahrt zur A 61 war von der Flutwelle unterspült worden und komplett weggebrochen. Wir fuhren dann in entgegengesetzter Richtung, in einer langen Schlange von Geisterfahrern, wieder zurück und über irgendwelche Umgehungsstraßen nach Hause.
Das Wasser sank so schnell wie es gekommen war.
Als wir am nächsten Morgen in den Betrieb kamen, stand da unsere Tochter mitten im Schlamm. Sie war als Erste runtergefahren. Kam aus dem Matsch auf mich zu und sagte: „Papa, du brauchst gar nicht nachzugucken, da ist alles kaputt.“
Zertrümmerte Stühle und Tische übereinandergestapelt, überall Schlamm und Dreck, und von der Decke tropfte noch das Wasser. Ich hörte mich sagen: “So, wir müssen ja irgendwie sehen, wie wir hier klar Schiff machen.“
Und da standen auf einmal Bekannte von uns aus Lantershofen, die sagten: „Hallo, hier sind wir. Wir helfen euch.“ …“