Ich schreibe, um herauszufinden, was ich denke. (Susan Sontag)
Letzte Beiträge
S.G.
Dienstag. Meine ehem. Tübinger Kollegin S. ist tot. Heute erreicht mich die schreckliche Nachricht.
Sie war Sportkletterin, und sie ist in den Schweizer Alpen abgestürzt. 100 tief, was muss das für ein krasser Steilfelsen gewesen sein! Angeblich war ihr Mann dabei. (Was in ihm vorgegangen ist, was in ihm vorgeht seitdem, das mag man sich gar nicht ausmalen.) Ganz, ganz furchtbar. Ich mochte sie sehr, es ist einfach unvorstellbar, dass sie nicht mehr lebt. Vor einem Monat erst hat sie das Crowdfunding zugunsten der „Jungen Texte aus Eisenach“ mit einer sehr großzügigen Spende unterstützt. Darauf hatten wir uns für die Sommerferien zu einem Austausch über den Ost-West-Konflikt verabredet: S. stammte aus Ostdeutschland und war in den Westen gezogen, ich umgekehrt. Unsere Erfahrungen waren offensichtlich ähnliche. Das hätten wir gerne vertieft. Die Zeitungen / Medien sind voll von dem tragischen Unfall, z.T. in einer Reihe mit anderen, ähnlichen Unfällen, die ich sonst wahrscheinlich überlesen hätte. Aber wenn du die Betroffene kennst und magst, haben solche Nachrichten eine vollkommen andere Bedeutung. S. war eine von den Guten. Sehr vielen Menschen wird sie sehr fehlen. Mir auch.
Was mir nachgeht
Samstag. Ein Stadtrat erzählt vorgestern auf der Absolventenfeier, dass auch er wie die Ziola-AbsolventInnen Schulabbrecher war: kein Geld, keine Arbeit, keine Aussichten. Keine Würde. Selbstgefühl im Keller. Hat sich langsam hochgearbeitet, Abschlüsse nachgemacht, zuletzt das Abitur. Arbeitsstelle, geregeltes Einkommen sind für ihn immer noch keine Selbstverständlichkeit, er erzählt es unter Tränen.
Schulscheitern: Mit 10 % Abbrecherquote liegt Thüringen bundeweit an der Spitze. Wie kommt dieser traurige Rekord? Für einen Satz bin ich ihm dankbar: „Wenn es an den Regelschulen anders zugehen würde, bräuchte man Einrichtungen wie die Ziola GmbH nicht. Aber wie gut, dass es sie gibt.“
Wie wahr. Und wie schlimm, dass es private Initiativen braucht, um die vielen gebrochenen Jugendlichen mit ihren teils tragischen Biografien wieder aufzurichten. Jede und jeder einzelne AbsolventIn steht dafür. Ihr Stahlen über ihren Erfolg ist der schönste Erfolg für uns DozentInnen.
Schöne Aussichten
Freitag. Bald gehts los. Zuerst Tübingen, wenig später erwartet uns Bella Italia und unser geliebtes Diano Marina. Unsere Wohnung wird gehütet, ein gutes Gefühl.
Heute Nacht das beste Angebot ever mit sehr, sehr schlechtem Gewissen abgesagt: Eine Schule mit Potential und ein toller Schulleiter, dessen visionäre Kraft ich manch anderer Schulleitung wünschen würde. Ihm fehlen schlichtweg die Lehrkräfte, um seine Visionen durchzusetzen. Und nun breche ich auch noch weg. Aber es wäre fast ein volles Deputat, und dann wär ich wieder genau da, wo ich vor zwei Jahren aufgehört habe.
Ich möchte nur noch projektbezogen arbeiten, ansonsten an meinen beiden angefangenen Manuskripten weiterarbeiten. Nur bei der Ziola steige ich ab Oktober wieder ein.
Die Situation an den Schulen wie auch an allen anderen Einrichtungen, Kliniken, Banken, Kneipen, Geschäften, ist katastrophal. Überall fehlen Menschen! Wie kann das sein? Ich will diese Frage an der Stelle nicht vertiefen (man muss auch verdrängen können). Packe in Gedanken schon mal Koffer, schöne bunte Sachen für schöne bunte Ferien.
Zeit und Blumen
Donnerstag. Eine bezaubernde Absolventenfeier im Schulungshaus Ziola, Blumen, viele Tränen, Ermutigendes, wohltuende Würdigungen, neue Kontakte. Beschwingt nachhause gelaufen, die Blumen im Arm, unterwegs Th. getroffen, angedachte Planung des historischen Treffens im September (mehr sag ich noch nicht) mitten auf der Straße, die Einkaufstasche in der Hand, Ideen-Blitzgewitter in ihren Augen: Wir könnten doch … der großen Saal im AWE-Werk … frag mal den H., na das wär’n Ding!
Zeit macht kreativ. Zeitmangel schnürt wie ein Korsett. Meine Gedanken weiten sich gerade. Ich habe Zeit. Begreife es nur noch nicht.
Freue mich aufs Strohländle und aufs Publikum
„Affentheater“
Die Brandmauer ist gescheitert. Die AfD ist hinter der Brandmauer durch Ausgrenzung, durch Redeverbote, durch den Ruf nach Parteienverboten immer stärker geworden.“
Ich finde es völlig unproblematisch, dass man in einer parlamentarischen Situation, wo die AfD so stark ist, mit ihr solche Gespräche führt. “
Gespräche hat es bisher nicht gegeben. Das hat auch damit zu tun, dass wir aktuell gar nicht im Bundestag sind. Wären wir im Bundestag, würden wir aber nicht dieses Affentheater aufführen, was gerade Grüne und Linke zelebrieren: Die verzichten auf einen Untersuchungsausschuss zur Spahn-Masken-Affäre, weil sie diesen Ausschuss nur mit AfD-Stimmen einsetzen könnten.“
Fazit: Man muss Sahra Wagenknecht nicht lieben. Aber ihre Argumente hören, das sollte man unbedingt.
Dank für schöne Rezi
Save the DateS
Der Kalender füllt sich:-)
Nächste Lesetermine:
18. August 2025 auf dem Leonberger Strohländle
27. September 2025 auf dem Tübinger Bücherfest
38 Grad
Mittwoch, Tübingen. Meine Dachwohnung bei 38 Grad – ich bewege mich Slow Motion und gehe nicht raus. Auf die Weise habe ich die Steuer gestern erledigt. Danke, Du verrückte Sonne!
Wie Bücher dir manchmal im richtigen Moment zufallen, entdecke ich Eheleben von Sergio Pitol in meinem Bücherregal, unberührt. Es knackt ein bisschen beim Aufschlagen. Mich in die Waagerechte bringen und lesen, das schaffe ich gerade noch: Unglückliche Ehefrau als Widersacherin ihres untreuen Ehemannes, der immer reicher und mächtiger wird, indem er riesige Waldflächen roden und Hotelanlagen drauf errichten lässt.
Die Ursachen für Klimawandel im Romanplot konkret gemacht. Aber wen interessiert noch der Klimawandel? Oberste Prio ist jetzt die Kriegstüchtigkeit. Waffenproduktion und Klimaschutz sind ja irgendwie gar nicht kompatibel, also muss das eine erstmal in den unendlichen Raum der Vergessenheit katapultiert werden. Was sich nicht als allzu schwierig erweist: Ist doch der Klimawandel nicht gerade der Menschheit Lieblingsthema, und auf den Flügeln der Vergesslichkeit haben wir uns schon über so manche historische Krise hinwegflunkert.
Außerdem – wer will denn bestreiten, dass es eine geile Sache wird, wenn wir in drei, vier Jahren, bis an die Zähne bewaffnet und maximal aufgerüstet, endlich dem Russen so richtig final auf die Mütze geben? Davon hat schließlich schon mein Opa fantasiert.
Warum allerdings der Russe mit dem Einrücken über die Brandenburger Grenze so lange warten soll, nur um in drei, vier Jahren an unserer blindwütig hochgerüsteten Armee zu scheitern, darüber geben uns die Architekten der neu aufgelegten Kriegstüchtigkeitswelle keine Auskunft. Er wartet, weil er warten muss, basta! So irgendwie funktioniert KriegstreiberInnen-Logik, nehme ich an.
Ich bin etwas abgeschweift. Es geht nicht gut aus für die ränkeschmiedende Gattin, soviel ist jetzt schon klar. Der Reiche wird immer reicher, der Sieger siegt. Jedenfalls im Roman. In echt wird der Sieger manchmal von seinen eigenen Siegen eingeholt, das ist der Trostspielraum.