Klein

Freitag. Klein aber oho. Klein aber fein. Auch kleine Dinge können uns entzücken? Klein ist doof. Zu klein ist schlimmer als zu groß. Gibt es zu groß überhaupt? Diese Jeans ist mir zu groß – okay, nicht gut. Aber: Dieses Haus ist eigentlich viel zu groß für uns – was sonst als Jammern auf hohem Niveau?

„Dann stell ich mich klein und dumm“, war die Essigessenz aller eingelegten Lebensweisheiten meiner Mutter. Ich wollte also groß und klug werden. Groß und klug war sozusagen ein Synonym. Erwachsene waren nicht dumm. Sie waren vielleicht gemein, verlogen, eigennützig, aber dumm nur, wenn sie sich so stellten.

Bis mich Herr Grabert, mein Grundschullehrer, eines Besseren belehrte. Herr Grabert war groß, dick und sehr dumm. Er schrie ins Telefon, das in unserem Klassenzimmer stand, bis er wie in violette Farbe getaucht aussah. Er stellte seine sabbernde Dogge vor uns auf, da blieb sie stehen wie ein scharfes Geschütz. Er behauptete, das Sauerland heiße Sauerland, weil den Bauern an den steilen Hängen die Arbeit so sauer wird.

Sofort glaubte ich ihm nicht. Er war nur zu blöd zuzugeben, dass er es nicht wusste – ich hatte ihm die Sauerland-Frage gestellt – und dumm genug, sich seine Antwort selbst zu glauben. Vielleicht hielt er sie gar für eine Eingebung, er lachte, als er sie sagte, und sonst lachte er nie. Er war stolz auf seine dumme Antwort.

Meine Eltern lachten auch herzlich über die kleine Anekdote. Na bitte. Herr Grabert war dumm und brachte damit mein Weltbild durcheinander. Später kamen noch mehr Große dazu, die dumm auf mich wirkten. Ich fand, sie hatten kein Recht auf Dummheit. Wer groß ist, muss klug sein oder klug werden. Daran lässt sich doch arbeiten. Und wer klein ist? Der muss sich groß stellen. That’s the Point.

 

(Schreibübung: „Klein“)