Dienstag. Wir werden mit unseren Erfindungen verschmelzen, glaubt Yuval Noah Harari (Homo Deus).
Den zukünftigen Menschen sieht Harari als einen Cyborg, als ein technisch aufgerüstetes Mensch-Maschine-Mischwesen, uns Naturwesen gegenüber zielgerichtet optimiert und den Bedürfnissen einer digitalisierten Welt angepasst.
In einer Reportage bringt es kürzlich ein französischer Erfinder auf den Punkt. Er stellt der verblüfften Zuschauerin seine Lebensgefährtin vor: Eine humanoide Roboterfrau. Eine Androidin. Oder besser: Eine Gynoide. Die Lady verfügt über eine menschliche Mimik, kann traurig aussehen und freudig strahlen. Sie hat eine künstliche Intelligenz, durch die sie in der Lage ist, auf ihren Nutzer einzugehen, ihm zu antworten, ihm Fragen zu stellen. Sie hält Blickkontakt, sie ist ihm zugewandt. Sie ist attraktiv und großbusig. Ihre Vorzüge demonstriert der Erfinder durch im Wortsinn eindrückliche Griffe an ihren Doppel-D-Silikonvorbau. Da nützt der Traumfrau ihre ganze künstliche Intelligenz nichts, sie knallt ihm keine, das gibt ihr Programm nicht her. Dafür spricht sie in verschiedenen Stimmlagen, die der User je nach Tageslaune regulieren kann.
Wenn ich an die jungen oder nicht mehr so jungen, ziemlich nerdigen Programmierer denke, denen man zwangsläufig in der einen oder anderen PC-Werkstatt begegnet und deren Weltbild sich im Wesentlichen aus Videogames zusammensetzt, kann ich mir ausmalen, nach welchen Vorgaben die digitalisierte Welt – also die Welt der Zukunft – sich evolutionieren wird. Entwicklungsgestörte Männer wie dieser französische Erfinder, die es nicht einmal wagen, mit einer Frau aus Fleisch und Blut zu reden, ihr in die Augen zu sehen, geschweige denn sie ANZUFASSEN, schaffen sich ihre idealen Gespielinnen aus Computerbausätzen, die sie mit einer Plastikhaut überziehen. Diese Frauen machen keine Angst, und wenn doch, wird ihnen einfach der Saft abgedreht.
Apropos Saft: Der Androidin wird sicher eines Tages auch eine voll technisierte, wohltemperierte Gebärvorrichtung einmontiert, in der die Spermien ihres Users zu neuen Wesen, zu neuen männlichen Wesen, heranreifen können. Biobasierte Naturfrauen werden nämlich obsolet. Cyborgfrauen und auf einer späteren Entwicklungsstufe Gynoide übernehmen ihre Dienste, während Cyborgmänner und später Androide für sämtliche nicht vermeidbaren Sklavendienste sowie für den Waffengang gegen unterlegene Völker produziert werden. Die Elite stellen biobasierte Männer, also die mit technischem Durchblick. Ihnen gehört die Weltherrschaft – bis sie eines Tages von ihrer eigenen Erfindung überrollt werden („Besen, Besen, sei’s gewesen …“).
Darf man solche Gedankenspielereien, die inzwischen sehr konkrete Formen annehmen, überhaupt so defätistisch bis zustimmend kommentieren, wie es Harari tut?
Der Mensch wird marginalisiert, allen voran der weibliche Mensch. Am Anfang stand Siri. Ihr Name ist altnordisch und bedeutet „Schöne Frau, die einen zum Sieg führt“. Siri ist demnach eine attraktive, virtuelle Assistentin mit einer sexy Stimme. Welche Bilder die Stimme auslöst, bleibt der männlichen Fantasie überlassen. Mit Alexa wird die Tradition der gehorsamen und dem Mann zu Alltagssiegen verhelfenden Assistentin aus den Werkstätten des Silicon Valley fortgeführt. Auch sie ist bisher nur Stimme und damit körperlos. Dagegen wimmelt es in der Filmgeschichte und in Videogames nur so von äußerst körperlichen Cyborgfrauen. Als Beispiel sei „Basis-Lustmodell“ Pris aus Blade Runner genannt. Doch lange vor ihr verdrehte schon Fritz Langs Maria mit ihren erotischen Tänzen in Metropolis den Männern die Köpfe.
Filme nehmen Geschichte oft vorweg. Ich erinnere mich noch an das Gruselgefühl, als ich zum ersten Mal Die Frauen von Stepford sah. Konsequent wird hier das Gedankenexperiment zu Ende geführt, was bleibt, wenn Frauen durch Androidinnen ersetzt werden: Ein Heer von blonden, unterwürfigen, nicht selbstdenkenden – kurz: perfekten Ehefrauen. Auf Männer üben diese sexualisierten und kontrollierbaren humanoiden Roboterfrauen offensichtlich einen magischen Reiz aus. Der französische Erfinder freut sich jedenfalls über den reißenden Absatz seiner Modelle. Die Roboterwelt ist eine Männerwelt. Zähle zwei und zwei zusammen …, und ein mulmiges Gefühl kann nicht ausbleiben.
Ist mit dem Cyborg das Ende der Frau prognostiziert? So überzogen die Frage scheint, muss sie in aller Drastik gestellt werden. „Wir werden mit unseren Erfindungen verschmelzen“ ist meines Erachtens ein Euphemismus. Und jeder, der den Zukunftsvisionen einer vorgeblich assistierenden Roboterwelt entgegenjubelt, sei es aus Fatalismus, sei es aus echter Begeisterung, verschließt die Augen vor dieser Konsequenz.
Ihr klugen Frauen, übernehmt die finsteren Werkstätten! Wir brauchen euch dringend! Nicht im Design und Marketing, sondern an der Basis. Frauen, übernehmt Silicon Valley!