Ein Mord und eine Apple Watch

Montag. Der weltweit anerkannte und für internationale Medien (Washington Post, Spiegel …) schreibende, saudi-arabische Journalist Jamal Khashoggi ist verschwunden.

Ist das an sich schon seltsam genug, wird es noch seltsamer, wenn man sich den Ort seines Verschwindens vergegenwärtigt: Es ist das saudi-arabische Botschaftsgebäude in Istanbul, in welches Khashoggi zwar hineinging, nicht aber wieder herauskam.

Seit dem 2. Oktober fehlt jedes Lebenszeichen von ihm. Besonders fehlen dürfte es seiner Verlobten, die vor dem Konsulat auf Khashoggi wartete; bei seinem Besuch in Istanbul ging um Dokumente für ihre anstehende Hochzeit.

Im September 2017 war Khashoggi aus Angst vor einer Festnahme ins US-Exil gegangen. Nachdem er mehrfach die Politik des Kronprinzen Mohammed bin Salman angeprangert hatte, darunter auch die kriegerischen Interventionen im Jemen und die Wirtschaftsblockade gegen Katar, war sein Verhältnis zum saudischen Königshaus mehr als angespannt. In der Türkei glaubte er sich jedoch sicher. Spekulationen, dass er in der Botschaft ermordet worden sei, verbreiteten sich in den Medien so unmittelbar nach seinem Verschwinden, dass man davon ausgehen kann, der türkische Geheimdienst verfügt über sichere Beweise.

Nach Berichten der türkischen Zeitung Sabah gibt es Tonaufzeichnungen von Khashoggis Hinrichtung. Der Journalist habe vor Betreten des Gebäudes die Aufnahmefunktion seiner Apple Watch eingeschaltet. Diese sei mit seinem Handy verbunden gewesen, das er seiner wartenden Verlobten übergeben habe. Damit wären die Aufzeichnungen in iCloud gespeichert. Darüber hinaus heißt es von der türkischen Regierung, sie sei sogar in Besitz von Videoaufzeichnungen, die die Tat belegen. Nach Auswertung des gesamten Materials sei Khashoggi verhört, gefoltert und dann getötet worden. Anschließend habe man seine Leiche zerstückelt und in Koffern hinausgetragen.

Und jetzt?, fragt man sich und stellt sich gleichzeitig vor, ein solcher Verdacht bestünde gegen Putin. Nicht auszudenken wäre der mediale Aufschrei! Einige westliche Konzerne und Medienvertreter überlegen (!) nun, so liest man, einen Wirtschaftsgipfel* im Oktober zu boykottieren, der ein Prestige-Event von Kronprinz bin Salman sei.

Ich kann nicht beurteilen, wie weh es einem Land wie Saudi Arabien tut, wenn ein paar Firmen aus Deutschland oder den USA auf die Performance dieser Veranstaltung verzichten. Wahrscheinlich passiert aber gar nichts und wahrscheinlich tauchen sie letztlich doch alle auf, die deutschen Waffenhersteller mit ihren schönen deutschen Waffen, damit sie ihren besten Kunden nicht verlieren.

Die Tat ist inzwischen zwei Wochen her. Auf offene Konfrontationen wartet die Öffentlichkeit bisher vergeblich, so hanebüchen die Vorgänge auch sind. Können die beteiligten Regierungen – und alle mit Saudi Arabien wirtschaftlich verbandelten Regierungen sind beteiligt – sich das leisten? Einen mutmaßlichen Mord durch den Landeshäuptling in Riad unbeantwortet zu lassen, um der “wirtschaftlichen Stabilität” Willen? Mohammed bin Salman jedenfalls scheint überzeugt, dass die finanzielle Macht seines Königreichs ausreicht, um mit jedem noch so bestialischen Verbrechen davonzukommen. Preist Angela Merkel sein Land doch nach wie vor, im Widerspruch zu den Berichten des deutschen Auslandsgeheimdienstes, als “Stabilitätsanker im Nahen Osten” …

Was die Glaubwürdigkeit westlicher LandesführerInnen angeht: In Sachen Doppelmoral als Gradmesser für politisches Handeln unterscheiden sie sich nur in Abstufung von einem absolutistischen Terrorstaat wie Saudi Arabien, das ist es, was die politisch mitdenkende BügerIn einmal mehr zu realisieren hat.

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*Nachtrag (16.10.18) Im Rüstungsdeal zwischen Trump und SaudiArabien geht es um 110 Milliarden Dollar – “Soll ich sie nicht mögen?” fragt Trump, “ich mag sie sehr!” Riads Regierung besitzt eine Etage im New Yorker Trump Tower, und mit 100 Milliarden Dollar ist sie einer der wichtigsten Silicon-Valley-Investoren.