Sonntag. Begegnung mit Peer.
Nach der Kunstausstellung bringt Peer mich nach Hause. Wir haben Hunger, und ich mache meine bewährten Bratkartoffeln mit Spiegelei – roh in Butter langsam erhitzen, mit Salz, Pfeffer und einer Prise Tessiner Kräuter würzen, Paprika auf das Eigelb, Curry auf das Eiweiß, und fertig ist die Laube.
Zum Nachtisch finden sich noch tiefgefrorene Erdbeeren. Erdbeeren sind das einzige, wovon Peer eingefallen ist, dass er es gerne mag. Ich erhitze und püriere sie und gebe sie über drei Kugeln Vanilleeis. Peer schmeckt alles oder nichts, er empfindet kein Wohlgefühl beim Schmecken. Er will nur satt werden. Er merkt nicht, wenn Essen versalzen ist, angebrannt oder vergammelt. Satt werden von Brot, Müsli, Bananen, ganz egal und the same procedure as every day. Kochen tut er nie.
Ich strenge mich ordentlich an, meinen Gästen soll es schmecken. Auch nach Mitternacht. Ich frage ihn: Schmeckt es dir? Ja, sagt er und grinst ein bisschen, ich weiß ja, dass er immer dieselbe Antwort gibt. Jedenfalls isst er beide Teller auf, ich denke, er ist jetzt satt.
In Peers Biographie gibt es viele Tote. So viele Tote! Das ist erschreckend. In Peers Familie gibt es große Schuld. Schuld und Nichtvergeben. Weil monströse Schuld nicht vergeben werden kann. Daran zerbrechen die Opfer, oder sie töten sich selbst, anstatt den Schuldigen zu töten. Die Toten in Peers Biographie haben sich geopfert, weil sie die Schuld ihres Familienoberhauptes nicht mittragen konnten.
Antike Tragödie in Jetztzeit. Peers Gang ist aufrecht. Er trägt die Last seines Altvorderen mit stoischer Klarsicht. Dem Schweif von Abgrund, Verruchtheit, Verbrechen stellt er sich entgegen mit mannhafter Friedfertigkeit.
Peers Profil ist ein antikes, habe ich während der Autofahrt gedacht. Aristophanes war mir eingefallen, vorhin. Die Büste von Aristophanes. Seltsam, jetzt spricht er von ihm, ausgerechnet von Aristophanes, dessen Drama Die Wolken zum Todesurteil über Sokrates geführt habe. Deshalb hasst Peer Aristophanes.
(Wieso habe ich davon noch nie gehört?)
Darf ich dir noch erzählen …, sagt er morgens um halb vier. Ich spähe hinaus, ob es schon hell wird, doch im November wird es um diese Uhrzeit nicht hell. Kein Grund zur Eile also.