Nomen est Omen

Samstag. Die Leibeigne von Tante Astrid spricht KEIN Wort Deutsch!, sagt Jerome, der sich gerade von einem Telefongespräch mit Tante Astrid erholt.
Jonas, schon seit seiner Geburt daran gewöhnt, die Insider seines Vaters erstmal nicht zu blicken, guckt neutral.
Es geht um die polnische Betreuerin von Tante Astrid, die in Wirklichkeit nicht Astrid heißt, aber nach Jeromes Meinung so heißen könnte. Jerome beansprucht die  Deutungshohheit und damit die Nicknamehohheit über unsere Verwandtschaft.
Grete, Kennst du schon Bruno Busch?
Ich starre auf das Babyfoto – rosa Gesicht über blauem Strampler – , drehe es um und bin sprachlos: Der arme Zwerg heißt wirklich Bruno Busch.
In Indien, sagt Jonas, heißen manche Mädchen übersetzt Wir wollten kein Mädchen.
Das Kind, das Bruno Busch heißt, ist der jüngste Spross unserer weit verzweigten Familie.
In der Küche klappert und poltert es, Beret kocht das Mittagessen.
Man muss nur dreimal auf den Tisch klopfen, dann fangen die an zu TANZEN, zitiert Jerome auf den Tisch einklopfend einen seiner vielen Hasslehrer, auch Mörder genannt.
Der Mörder konnte, wenn man Jeromes Anekdoten glauben darf, seinen Rassismus ungehemmt in der Schule ausleben. Heute ist er Präsident eines gemeinnützigen Vereins für das Recht auf Stille, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Musikberieselung in Kaufhäusern aktiv zu bekämpfen. „Lautsprecher aus!“ ist die Vereinsparole. Auf seiner Internetseite, die Jerome mir gerade öffnet, beruft sich der lange pensionierte Pauker auf Robert Gernhard: „Du sollst nicht lärmen!“
Beret aus der Küche: Niemand kann was für seine Fans.
My vokäbjulärie ist raser limitit, imitiert Jerome den Mörder und verliert sich für ein paar Sekunden in betrüblichen Erinnerungen. Wenn jemand ein Lehrer- und Schultrauma hat, dann ist das Jerome.
So ist es nur gerecht, dass aus seinem Mathelehrer Freisler wurde, aus dem Lateinlehrer Der Führer, und Robert Ley (Chef des Reichsarbeitsdienstes) erlebte seine wundersame Auferstehung in Gestalt von Jeromes Geschichtslehrer:
„Nach dem Kriech gab es keine Apfrikosen und keine Schuggelodä!“
Das Telefon klingelt. Es ist Tante Astrid. Nee, nicht schon wieder, entscheidet Jerome. Berett senkt ihren Kopf zustimmend über die FAZ. Ich sage mir, dass ich nicht gemeint sein kann. Außerdem haben wir Presseschau, die Zeit zwischen 12 und 14 Uhr ist Sperrzeit. Wer da stört, ist selber schuld.
Jonas: Montag geh ich aufs Amt, Alg I beantragen. Das hab ich eingezahlt, das steht mir zu.
Ach, Pelz!, sagt Beret liebevoll.
GO HOME!, ruft Jerome, in Anlehnung an Tante Astrid, die ‚go home‘ zischt, sobald sie irgendwo eine dunkelhäutige Person erblickt.
Jonas/Bodo/Herrmann/Pelz steht schon in der Tür: Nur für zwei Monate. Bis mein Studium anfängt, beruhigt er uns. Und zwinkert wie ein alter Schwerenöter.