Faschistin und Kriegstreiberin?

Samstag, Tübingen. Jährlicher Höhepunkt des Tübinger Stadtlebens: Der umbrisch-provencalische Markt! Mit A. und später auch noch mit M. durch die menschengeflutete Stadt gebummelt, Exotisches gegessen, viele Leute getroffen und viel gequatscht. Tübingen wird immer voller, bin ich gar nicht mehr gewohnt.

Die unsägliche Frau Strack-Zimmermann muss zwei Niederlagen vor Gericht hinnehmen: Man darf sie nun offiziell als Faschistin (was sie natürlich nicht ist) und als Kriegstreiberin (was sie ist) bezeichnen. Das Urteil beruht auf der Meinungsfreiheit. Die Tatsache, dass die Massenmedien über den Fall schweigen, darf als Indiz für eine selektive Berichterstattung gedeutet werden. Wer sich dennoch auf die Suche macht, der findet die Causa Stack-Zimmermann fast ausschließlich in rechts-alternativen Medien (die ich hier nicht zitieren möchte). Das finde ich äußerst bedauerlich!

 

Als Wessi im ostdeutschen Bildungssystem

Samstag. Eine Gesellschaftsanalyse, die mir die Augen öffnet: Andreas Petersen spricht in seinem Buch Der Osten und das Unbewusste aus, was bisher nur diffus meine Wahrnehmung tangiert hat.
Das gesamte westliche Denken, Kunst und Kultur und damit auch die Sprache, sind durchdrungen von Freuds Theorie über die Psyche, über das Unbewusste, das Individuum mit seinen Trieben und Wünschen und Begehrlichkeiten und nicht zuletzt über die Tatsache, dass der Mensch “nicht Herr im eigenen Haus” ist.
Damit haben wir uns – im Interesse der individuellen und der gesellschaftlichen Heilung – auseinandergesetzt. Und uns daran abgearbeitet – allein mit sehr viel Literatur (und vielen, vielen Randbemerkungen) oder in verschiedenen Gruppen in manchmal endlosen Psychodebatten.
Doch Freud, C.G. Jung, Fromm, überhaupt die Frankfurter Schule, das Ehepaar Mitscherlich u.v.a. waren bis in die späten 80 Jahre in der DDR nicht nur nicht erhältlich, sondern wurden explizit diffamiert und blieben aus dem universitären Raum verbannt.
Das Ich, das sich gemäß seines ganzheitlichen Potenzials bildet und ausbildet, ist das Ideal des Westens. Das Ich, das im Kollektiv aufgeht, war 40 Jahre lang das Ideal des Ostens. Unser Denken über Individuum und Gesellschaft einschließlich des Wordings ist dadurch ein anderes – ich erlebe es jeden Tag im Schulbetrieb.
Konkret: Wenn ein sehr übergewichtiges Mädchen seit Jahren Mobbing erfährt und darunter extrem – und von ihrer Seite auch verbal überzeugend kommuniziert – leidet, wird ihr auf den Kopf zugesagt, sie solle sich “mal zusammenreißen”. Obenauf bekommt sie eine 6 in Sport, weil sie sich “nicht anstrengt”.
Auf dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen der Tiefenpsychologie und der Psychoanalyse ist in meinen Augen eine 6 keine Note, sondern eine Kapitulation. Meine Nachfragen, was eine solche Behandlung mit der Psyche einer / eines Jugendlichen mache, werden mit langem Blick beantwortet. Psyche? Nicht einmal im Wortschatz sehr junger Kolleg*innen oder gar Referendar*innen scheint dieses Wort zu existieren.
Leider ist das o.g. Schicksal überhaupt kein Einzelfall.
Einigung, was das betrifft, nicht möglich.

Die Ironie des Lebens

Freitag. Abgesehen von der erstaunlichen Tatsache, dass Eisenach sich ein Cineplex-Kino mit fünf Sälen und feinster Ausstattung leistet, die wirklich keine Wünsche offenlässt (Liegesitze, Cocktails …), gibt es da die Arthouse-Reihe, in der gestern Abend ein ganz und gar erstaunlicher Film angelaufen ist: Die Ironie des Lebens, eine deutsche Produktion von Markus Goller und Oliver Ziegenbalg mit Uwe Ochsenknecht und Corinna Harfouch in den Hauptrollen. Mit dem wunderbaren Uwe Ochsenknecht und der wunderbaren Corinna Harfouch. Ein leiser Film, als Tragikomödie ausgezeichnet, und tatsächlich gibt es Momente, in denen mir der Hals eng geworden ist, und solche,  die dich spontan rauslachen lassen.
Es geht um persönliches Versagen, um Schuld, Erfolg, Familie und ja, Tod. Das ist nicht gespoilert, gleich am Anfang erfahren wir, dass die Exfrau (C. Harfouch) des gefeierten Comidians (U. Ochsenknecht) an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt ist.
Immer an der Kitschgrenze vorbei, hin zu echter Tiefenschärfe.
Mit einem großartigen Ende.
Die Gesichter der beiden tollen Schauspier*innen in Großaufnahme, nur durch Mimik ihre sich wandelnden Emotionen hervorkehrend, diese Bilder lassen einen nicht kalt. Mich jedenfalls nicht. Ein Film mit Nachwirkung.

Übrigens: Der Titelsong ist von Ochsenknecht und Harfouch. Die können auch singen!

Standort

Donnerstag. Der Hamas-Überfall auf Israel war ein Radikalisierungsbeschleuniger, der nicht nur dem Land Israel, sondern auch der Bevölkerung in Deutschland zu schaffen macht. Wer Augen und Ohren offenhält, kann nicht umhin festzustellen, dass seit dem 7. Oktober ’23 eine Enthemmung der islamistischen Szene stattgefunden hat.

Ihre Vertreter (in der Regel männlich) stellen sich viel vitaler und offen aggressiver dar als noch vor ein paar Monaten. So wird der Dreifachmord in Solingen von Sachverständigen als bisheriger Höhepunkt einer Entwicklung bewertet, die noch gar nicht absehbar sei. Darauf weist u.a. der gläubige Muslim und Islam-Experte Eren Güvercin am 28.08.24 bei Markus Lanz hin: Was in der deutschen Politik völlig fehle, sei eine kritische Auseinandersetzung mit dem Islamismus.

Die reflexartige Verteidigung der islamischen Verbände durch die deutsche Politik und deutschsprachigen Medien blende aus, dass der Staat zum Schutz der Bevölkerung – auch der in Deutschland lebenden muslimischen Bevölkerung – verpflichtet sei, sich mit der Ideologie und den Erscheinungsformen des Islamismus kritisch auseinanderzusetzen. Leider spreche dieser gezielt sehr junge, männliche Jugendliche an. Wo bleibt da die gesellschaftliche und politische Gegenwehr? Wo bleiben die glasklaren Stellungnahmen: So leben wir hier, und so wollen wir auch in Zukunft leben? Und wenn es “nur” ein Konzert von Taylor Swift ist, das Menschen besuchen können, ohne sich ihres Lebens bedroht zu fühlen. Besonders die SPD sei nicht wirklich offen für diese Debatte, so Güverzin. Beispiel: Warum sonst sei erst vor vier Wochen das längst überfällige Verbot gegenüber dem IZH / Islamisches Zentrum Hamburg ausgesprochen worden?

Auf der anderen Seite vermisst Güverzin aber auch eine klare Abgrenzung der muslimischen Verbände von islamistischen Ideologien. Im Gegenteil haben sie sogar sehr viele Berührungspunkte mit den radikalen Strömungen des Islam. Der IS habe tausende jesidische Frauen versklavt, auf der Grundlage des Koran. Dagegen müssten sich muslimische Verbände wehren und den islamistischen Narrativen ein positives Narrativ entgegensetzen. Ansonsten seien die Jungen der Propaganda von religiösen Extremisten auf Tiktok u.ä. wehrlos ausgesetzt, die sich in den sozialen Medien geradezu als Popstars gerierten. Der sog. Zentralrat der Muslime, der überhaupt nur 3 % der Muslime repräsentiert (der Name ein PR-Gag), da viele Verbände inzwischen ausgetreten sind, werde von der Politik nach wie vor hofiert. Daher seine öffentliche Wirksamkeit, seine mediale Präsenz, obwohl sich unter diesem Dachverband u.a. die religiös-politische türkische Organisation Milli Görüs aufhält, die anerkanntermaßen im Islamismus verortet ist.  Wie auch andere Organisationen mit Bezügen zur Muslimbruderschaft und zum Teheraner Regime, z.B. die von der türkischen Religionsbehörde finanzierte und repräsentierte DITIB, deren Vertreter*innen die Hamas offen als Befreiungsorganisation feiern. Muslimische Verbände, die beanspruchen, für eine breite muslimische Gemeinde zu sprechen, müssten aber ihre gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und sich eindeutig gegen islamistische Bestrebungen abgrenzen. 

Mit Abschiebungen sei das Problem des Islamismus überhaupt nicht gelöst. Wer eine Brandmauer gegen Rechts zieht, der müsse sich auch gegen türkischen Rechtextremismus und islamistische Propaganda positionieren. 

Danke, Eren Güvercin!

 

Unbeirrbarer Frieden

Dienstag. Vielleicht sollte ich weniger hinterfragen, warum die Bedingungen so und so sind, warum die oder der so handelt und nicht anders, warum ich hier und nicht an einem ganz anderen Ort bin. Vielleicht sollte ich genau an diesem merkwürdigen Ort einfach meinen Unterricht abhalten, mein Wissen, so gut ich es kann, weitergeben und mich bemühen, geduldig, friedlich und freundlich zu bleiben. Anstatt mich gegen die Standards aufzulehnen, was sowieso nichts bringt. Vielleicht sollte mir das genügen: Arbeiten und Gutes tun, jeden Tag aufs Neue. Wie es die buddhistischen Meister lehren: Gehe hin, tu deine Arbeit. Das wäre ja auch eine Art von Widerstand. 

Kleine Welt

Alte Mälzerei Eisenach: Ulrich Grober liest aus seinem neuen Buch Die Sprache der Zuversicht und wird begleitet von dem tollen Jazztrio Americana mit Felix Eckenfelder (Drums) / Nicolas Buvat (Bass) / Sebastian Minet (Gitarre). Wie sie auf der Bühne erzählen, führt ihre musikalische Spur nach Stuttgart und nach Tübingen. Wie klein ist doch …

Und wieder IS

Sonntag. Amaq, der Nachrichtenkanal der Terror-Organisation Islamischer Staat, erklärt heute: „Der Angreifer auf die christliche Versammlung in der Stadt Solingen in Deutschland gestern war ein Soldat des Islamischen Staates.“
Der Täter wurde in der städtischen Asylunterkunft gefasst. Drei Tote und acht Schwerverletzte gehen auf sein Konto. Solingen feiert in diesen Tagen das 650-Jahre-Stadtfest unter dem Motto: Ein Festival der Vielfalt. Weitere Feste in den Nachbarstädten wurden abgesagt, so auch in Hilden das Fest der Kulturen.
Die beiden direkt angegriffenen christlichen Kirchen schweigen. Die Politik ist erschüttert und betroffen. Steinmeier fordert das Ende von Gewalt und Hass (von wem?). Faeser will jetzt nur noch Messer mit 6 cm Klingenlänge zulassen.
Die AfD triumphiert.

Liebe, oder c‘est la vie

Samstag. Der selbstverliebte Blick in den Spiegel, hervorgerufen durch irgendeinen sensationellen Fummel aus irgendeiner sensationellen Boutique, ist selten geworden. Mir steht nicht mehr alles. Das erleichtert die Qual der Wahl – suche das Gute im Schlechten – und es ist gleichzeitig traurig. Na ja, nicht wirklich traurig. C’ est la vie, so irgendwie.
Wenn ich mir meine liebe L. anschaue und wie viel toller alles an ihr aussieht, freue ich mich an ihrer Schönheit. Ob sie es weiß? Wenn ich es ihr sage, guckt sie genervt. Sie interessiert sich nicht für Mode und für Äußerlichkeiten. Sie setzt in die Praxis um, wovon ich / wir in einem anderen Äon phantasiert & theoretisiert haben. Sie ist ein Teil von mir. Genau wie mein lieber T. Niemand wird mich je so stark berühren wie meine starken, klugen, mutigen Kinder. Denke ich an sie, zieht sich mein Herz zusammen. Aus Sorge und aus Liebe. 

Optionen

Freitag, Köln. Spontan für 2 Tage nach Köln gedüst. L. hat Geburtstag. Superfreundliche Aufnahme in ihrer WG. Bei allem, was gewöhnungsbedürftig ist (alles Essen ist containert), finde ich ihre Art zu leben und zusammenzuleben großartig. Hätte ich mir auch gewünscht, hab ja immer von einer Fortgeschrittenen-WG geträumt. Sobald es Leute gab, die mitgemacht hätten, ist es aber am Ort gescheitert. Am gleichen Ort 4-5 Gleichgesinnte zu versammeln, ist mir leider nicht gelungen. Es müssten ja auch total flexible Leute sein, was in unserem Alter schwierig ist. Das bewundere ich am meisten: wie cool und gelassen die Mitbewohner*innen hier bleiben, auch wenn etwas anders läuft als geplant. Bringen sich sofort auf eine andere Spur, sind nicht sauer oder eingeschnappt. Optionen statt Standards. Kriegen wir hin!, höre ich immer wieder. Eine Haltung, die gut tut.