Fragen

Sonntag, Tübingen. Treffen mit meinen liebsten Freund*innen,  Shoppen in den schönsten Geschäften, Bummeln über den alljährlichen Haaggassen-Antikmarkt … durch menschenüberlaufene Straßen (Kontrast zu den leeren Straßen in Eisenach) …  Zeit mit Baby Z. verbringen. Was ist der Sinn meines Lebens? Ist Familie das Wichtigste? Was mache ich dann in Eisenach? Und welchen Stellenwert hat Arbeit? Quälende, unbeantwortete Fragen. Die Angst vor zu später Reue, vor falschen Entscheidungen.
Ich genieße meine Auszeit in meiner Wohnung hoch über der B 27, den Blick auf Laubwald und erblühende Apfelbäume jenseits der Straße an den Hängen des Galgenbergs.
Früher, noch vor einem dreiviertel Jahr, mein normales Leben.

Nordkorea TV für die Kleinsten

Samstag. Bis zur Auflösung der allgemeinen Wehrpflicht verweigerten linke, grüne Antimilitaristen den Kriegsdienst. Darauf war – auch für mich – immer Verlass: der Pazifismus war eine der ethischen Säulen von Grünen und Linken.

Der Gamechange kam mit der Ampel: Warum nicht wegen der Ost-Ukraine den Dritten Weltkrieg riskieren?

Die grüne Wahnsinnsbotschaft: Mehr Waffen schaffen Frieden. Dass der seit zwei Jahren anhaltende Krieg wie vorausgesehen eskalierend verläuft mit immer mehr Toten auf beiden Seiten, wird als Kollateralschaden behandelt.  Belästigen Sie mich nicht mit Fakten scheint das Motto der Stunde. Die Forderung nach einer Atombombe ist da nur konsequent.

Jedes Mittel ist unseren Häuptlingen zur Rechtfertigung ihrer Politik recht. Manipulation = moralisches Überlegenheitsgehabe steht an oberster Stelle. Und die macht auch vor Kindern nicht Halt, im Gegenteil: Wer ist denn manipulierbarer, weil offener, als Kinder?

Also ran an den niedlichen deutschen Marschflugkörper: Mit albern verstellter Kinderstimme beschwert er sich darüber, dass er nicht in die Ukraine darf – wie seine englischen und französischen Kollegen (oder Kolleginnen?  apropos, wo bleibt der weibliche Taurus in dem Video? Hallo? Gendern?)

Die stellen nämlich klar, also der süße, kleine Engländer und der süße, kleine Franzose: Der Deutsche ist der Loser, genauer: Ein Arschflugkörper! Nämlich weil er nicht rein darf, nicht explodieren, nicht Menschen, russische Menschen töten darf – so eine Gemeinheit aber auch!

Ich bin ja nicht schuld, dass ich nicht fliegen darf, jammert der süße, kleine deutsche Loser.

Wer dann? Aufklärung muss sein im Un.log-Kinderkanal im Deutschen Zweiten Fernsehen: Scholz ist der Schuldige! Dass das jetzt aber auch mal allen, auch den allerkleinsten Fernsehkonsumen*innen klar wird: SCHOLZ IST SCHULD – dass es mit dem 3. Weltkrieg nicht endlich losgeht.

Das hat es nicht einmal in der DDR gegeben, sagen meine ostdeutschen Freund*innen deprimiert: Das ist ja Nordkorea TV.

Es ist die grandiose Selbstkritiklosigkeit von unseren Kriegstreiber-Politiker*innen,  –Journalist*innen, –Fernsehmacher*innen, die mich sprachlos macht. Es ist die Schamlosigkeit der Öffentlich-Rechtlichen, die mit meinen Gebühren hemmungslos ihre Kriegsgeilheit ausleben – und mich in meinem Entsetzen zurücklassen.

Es wird Zeit, dass wir die Weiße Flagge hissen!   

Arbeit und Inspiration

Dienstag. Den ganzen Tag mit der Eingabe der VERA-8-Ergebnisse verbracht, was hier Kompetenztest heißt.
Wenn ich gewusst hätte, dass mir das nochmal blüht … Nichts ist sinnloser und gleichzeitig arbeitsaufwendiger als diese Art von gleichgeschalteter Kontrolle (nämlich undifferenziert für alle Schularten), die über die Einzelleistung nichts aussagt, eher schon über den Unterricht, aber das hat keinerlei Konsequenzen.
Am Abend superinteressante Stadtführung über bekannte Eisenacher Frauen. Allen voran – für mich jedenfalls – Avital Ben Chorin, die 1923 als Erika Fackenheim in Eisenach auf die Welt kam und, nach Auslöschung ihrer gesamten Familie durch die Nazis, den Mut fand, nach Eisenach zurückzukehren. Was ich nicht wusste: Die Autorin der Trotzkopf-Bücher ist Eisenacherin, wie auch die Erfinderin der berühmten Maus, die später für die Sendung mit der Maus in Bewegung gesetzt wurde.

Die ganze Dummheit in einer Antwort – ein Positionenvergleich

Strack-Zimmermann: “Ich hatte kürzlich ein Streitgespräch mit Margot Käßmann, in dem sie betonte, dass nur die Liebe zähle. Das klingt sehr schön.  Aber in der Ukraine tanzt nicht das Bolshoi Ballett Schwanensee, sondern töten russische Soldaten unschuldige ukrainische Kinder, Frauen und Männer.”

Soweit die Antwort. Und hier das sehr differenzierte Statement von M.K.:

Margot Käßmann: Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges schrieb Stefan Zweig von der „fast zernichtende(n) Tragik des Pazifismus, daß er nie zeitgemäß erscheint, im Frieden überflüssig, im Kriege wahnwitzig, im Frieden kraftlos ist und in der Kriegszeit hilflos“.

Pazifismus ist geprägt von der Überzeugung, dass nicht Aufrüstung Zukunft schafft, sondern wir als langfristiges Ziel Abrüstung brauchen, damit auch zukünftige Generationen auf dieser Erde leben können. Der militärischen Logik wird widersprochen. Und die offenbart doch gerade ihre ganze eigene Hilflosigkeit. Waffen, noch mehr Waffen, Gerede von „Tapferkeit“ und „heldenhaft“, gar von „Blutzoll“, der für eine gute Verhandlungsposition erhöht werden müsse.

Ach ja, und von „Sieg“ ist wieder großspurig die Rede. Wer diese Reden in Deutschland schwingt, tut dies übrigens genauso vom Sofa aus wie Pazifistinnen und Pazifisten. Auch Anton Hofreiter wird keinen „Leopard“-Panzer eigenhändig in der Ukraine zum Einsatz bringen.

Der Pazifismus kennt andere Narrative als die militaristischen. Da geht es um Mediation, Diplomatie, gewaltfreie Konfliktbewältigung und zivilen Widerstand. Kurzfristige Lösungen, den entsetzlichen Angriffskrieg auf die Ukraine zu beenden, hat die Friedensbewegung nicht. Aber die Bellizisten und Waffenlobbyisten haben sie auch nicht.

Pazifistinnen und Pazifisten geht es darum, schnellstens die Waffen zum Schweigen zu bringen und dann zu verhandeln. „Die Waffen nieder!“ hieß der berühmte Roman der Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner und genau darum geht es uns heute.

Inzwischen gibt es ein breites Bündnis von Deutscher Friedensgesellschaft, christlichen Gruppen, Attac, Naturfreunde Deutschland, Bund für soziale Verteidigung und anderen, die für das Wochenende 24.-/26. 2. zu Aktionen im Land aufrufen (stoppt-das-toeten.dfg-vk.de).

Die Initiative verbindet viele, die mit großer Sorge sehen, wie die Spirale der Gewalt eskaliert. Hat Deutschland im Konflikt anfangs Helme geliefert, so wurden es später Verteidigungswaffen, jetzt sind es Angriffspanzer. Die Spirale setzt sich schon fort, wenn Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe gefordert werden und die Gefahr besteht, dass Deutschland Kriegspartei wird, ja dass Atomwaffen alle Zukunft für unseren Kontinent vernichten. Diese Spirale wollen Pazifistinnen und Pazifisten unterbrechen.

Persönlich bin ich geprägt von den Erfahrungen meiner Eltern. Mein Vater war 18, als der Zweite Weltkrieg begann, wurde sofort zur militärischen Ausbildung beordert und hat bis zum Alter von 25 Jahren nur Krieg erlebt. Er hat den Krieg verabscheut. Meine Mutter war Krankenschwester, als die Bomben auf Berlin fielen, musste fliehen, hat zwei Jahre in einem dänischen Internierungslager verbracht, ohne zu wissen, ob Eltern und Geschwister noch leben. Sie hat den Krieg gehasst. Und ich bin Christin. „Steck das Schwert an seinen Ort!“ sagte Jesus, als ihn ein Freund verteidigen wollte. Und auch: „Liebet Eure Feinde!“.

Der Friedensnobelpreisträger und Baptistenpfarrer Martin Luther King hat gesagt, das sei das schwerste, was Jesus uns hinterlassen habe. Das stimmt, gerade auch in diesen Tagen. Aber ich kann es nicht ignorieren, wenn ich mich als Christin verstehe.

Als ich mit einer Freundin den Nachlass ihres Vaters sortiert habe, fanden wir ein „Gebetbuch für den deutschen Soldaten im Felde“. Dort waren auch die Zehn Gebote aufgeführt. Unter dem fünften, „Du sollst nicht töten“, stand in Klammern: „Gilt nicht im Kriegsfall“. So einfach können wir es uns nicht machen, denke ich. Darum bin und bleibe ich Pazifistin. Dabei habe ich die Demut, zu wissen, dass ich schuldig werde an Menschen, die sich mit der Waffe verteidigen wollen. Ich habe auch Verständnis für den Ruf nach Waffen. Aber in einer Demokratie nehme ich mir das Recht heraus, bei meiner Position zu bleiben.

Zuletzt: Als Großmutter von sieben Enkelkindern bin ich zutiefst überzeugt, dass die Kraft des Pazifismus mehr für ihre Zukunft gestalten kann als all die Aufrüstungsprogramme unserer Zeit.

Witz des Tages

Der Papst proklamiert Frieden, und alle, alle – Göring-Eckardt, Strack-Zimmermann, Kiesewetter, Wolfgang Thierse, sogar die Präsidentin des Evangelischen Kirchentages 2025 in Hannover Anja Siegesmund – stehen unter Schock.
“Mut zur weißen Flagge” – Frieden – damit fangen unsere Häuptlinge nichts an.

Hau-Drauf-Heiligtümer

Warum wird ausgerechnet Israel kritisiert? Warum verliert der senile Biden “mit Netanjahu langsam die Geduld”? Weil alle in dasselbe antisemitische Horn stoßen?

Im Ramadan soll die Nahostregion brennen – so wünscht es sich die Hamas:

Am Freitag hat der Hamas-Sprecher Abu Obaida in einer Video-Botschaft die Palästinenser dazu aufgerufen, im Fastenmonat zur Al-Aksa-Moschee auf dem Jerusalemer Tempelberg zu marschieren. “Möge der gesegnete Monat Ramadan (…) sich zur maximalen Flutwelle auf den Straßen und Fronten innerhalb und außerhalb Palästinas auswachsen”, sagt er.

Den Überfall auf Israel am 7. Oktober, der den Gaza-Krieg ausgelöst hat, nennt die Hamas “Al-Aksa-Flutwelle”. (dpa/afp/ng)

Welches Wort verstehen Biden & Co hier nicht? Die Botschaft ist eindeutig: Krieg den Israelis, Auslöschen des israelischen Staats. Am besten medial wirkungsvoll: auf dem Tempelberg – unter dessen prunkvollem Golddach sich der jüdische Tempel Salomos verbirgt. Seine Westmauer ist die heutige Klagemauer – kleiner Rest der 3000 Jahre alten Tempelanlage, der den Juden von ihrem wichtigsten Heiligtum geblieben ist.

Zerstampft, was drübergebaut und Protzdeckel drauf: So gehen Kulturen seit Jahrtausenden miteinander um. Sieg heißt auch Sieg über die Heiligtümer. Jüngstes Beispiel: Der Palast der Republik, der einem Stadtschloss im Imitat-Barock weichen musste: Angeblich wegen Asbest.

Koffer

Sonntag. Überall Koffer. Sie stehen in langen Reihen, der ganze Bahnsteig ist voll davon. Viele sehen aus wie mein Koffer. Wie mein verlorener Koffer. Rot mit schwarzem Griff und schwarzen Ecken. Ich dachte, es sei ein außergewöhnlicher Koffer. Hier werde ich eines Besseren belehrt, alle Welt scheint genau meinen Koffer zu besitzen. Bei genauerem Hinsehen ist es aber nie mein Koffer, denn an meinem Koffer habe ich ein Bändchen befestigt, und das hat keiner. Jedesmal, wenn ich nach meinem vermeintlichen Koffer greife, sehe ich, dass es doch ein anderer ist. Ich bitte PM um Mithilfe, auch er soll Ausschau halten. Wir betreten einen anderen Bahnsteig, wieder diese Reihe von Koffern, aber meiner ist nicht dabei. Manchmal kann man durch die offenen Zugtüren Stapel von Koffern erkennen, und auch da entdecke ich mein Koffermodell, aber nicht meinen Koffer. Mein Blick wandert nach oben, eine lange Stahlleiter hinauf, da steht, vor dem penatenblauen Himmel, ein silbernes Flugzeug auf einem Podest. Seltsam, dass man hier so direkt einsteigen kann, in einen Flieger, ohne Rollfeld, ohne Kontrolle. Die Tür des Fliegers steht einladend weit offen, auch hier sehe ich Koffer und wieder meinen Koffer, doch ich weiß inzwischen, dass er es nicht ist. Wir laufen weitere Bahnsteige entlang, es scheint aussichtslos, meinen Koffer zu finden, da sehe ich ihn plötzlich stehen, ganz allein an einer Metallsäule: Mein Koffer mit dem Bändchen. Hier ist er, ich habe ihn gefunden, sage ich zu PM. Wir wundern uns beide sehr, sind wir hier nicht ständig vorbeigelaufen? Als ich aufwache und mit laienhaftem Halbwissen dem Traum auf die Spur zu kommen versuche, meine ich beinahe im selben Moment, sie schon gefunden zu haben.
Was soll ich denn noch lange suchen? Es ist ja alles da.

Bücher und Besuche

Samstag. Schönen Nachmittag mit Rolo verbracht. Er kam mit einem Arm voller Bücher, jedes ein Juwel.
So viele Kontakte, wie ich hier in einer Woche habe, habe ich in Tü nicht in einem Monat. Ich genieße das gesellige Leben, lasse mich treiben, arbeite dafür nachts bis in den frühen Morgen hinein.

Buchempfehlung: Die Einsamkeit der Ersten ihrer Art

Mittwoch. So kann Kindheit in Deutschland sein. So ist Kindheit in Deutschland wahrscheinlich ziemlich oft. Amtsdeutsch: Prekariat. Literarisch: Armut, Mülldeponien, gewalttätige Väter, kranke Mütter. Nach Liebe suchende Jugendliche, früh desillusioniert, und dennoch wollen sich ihre Träume behaupten, romantisch und süß, Rosenblätter statt Bierpulle. Die Einsamkeit der Ersten ihrer Art von Matthias Gruber bringt es auf den Punkt.
Das Happy End bleibt aus.