Chaos

Montag, Werne. Sehr früh am Morgen mit dem Zug von BN zu meiner Mutter gefahren.

Mutter nicht da, ihr Zimmer leer, Mutter ist im Krankenhaus. Mit der Überraschung haut es also nicht ganz hin. Aber wo liegt sie? Lässt sich aus den Akten nicht so einfach erschließen. Da steht nämlich was von Marienhospital. Das ortsansässige Krankenhaus heißt aber nicht Marienhospital. Sondern das in Lünen. Was stimmt nun?

Der junge Pfleger hängt sich freundlicherweise ans Telefon. Die Zustände im Altenheim scheinen heute, milde ausgedrückt, chaotisch. Die Leiterin ist selber krank, wohl schon länger, ihre Vertretung in Urlaub. Wer will es ihr verübeln? Es gibt da noch einen Pfleger, doch der steht mehr oder weniger hilflos in der Gegend rum, den hat eine Leiharbeitfirma geschickt, erklärt er mir, outgesourctes Pflegepersonal in einer Pflegeeinrichtung, hat man so was Beklopptes schon mal gehört?

Dann kommt noch eine von der Küche dazu. Dazu besser kein Kommentar! Weiter gibt’s jedenfalls niemanden.

Der Kompetente ist nun auch am Rande des Nervenzusammenbruchs,  kein Wunder, er ist, wie er mir mit einem ironischen Grinsen verrät, nur der Praktikant.

Lünen also. Und wie da jetzt so schnell hinkommen? Eine Stunde vergebliches Warten an der Bushaltestelle. Bus kommt nicht. Was man mir direkt mal so bestätigt, als ich bei der Helferline (sic!) anrufe. Also Taxi, nach fortgeschrittener Uhr …

Mutter ist gar nicht so überrascht. Kann mehrere Gründe haben, in ihrem Zustand. Hört plötzlich besser. Wie ist das möglich, wo sie doch sonst nahezu taub ist trotz ausgefeilter Technik im Ohr? Sie ist ein bisschen verwirrt, was ich an ihrer Stelle auch wäre.

Aufwändige Rückfahrt. Sachen im halb leer geräumten Haus zusammenpacken für den Transport morgen. Vor dem Haus stehen auch Sachen. Wer hat die dahin gestellt? Und warum? Und wer holt sie wann ab? Keine Kommunikation, kein Austausch. Dabei wäre alles so einfach, zum Beispiel mit der Firma, die meine Sachen morgen abholt. Und mich gleich mit, sehr freundlicherweise.

Jetzt heißt es nur noch die Nacht irgendwie rumbringen, ist ja sozusagen keine Schlafstelle mehr da.

Sehr deprimierend. Die halbe Nacht in den Sachen herumgewühlt von zwei Menschen, die sich meine Eltern nannten und von denen ich spüre und sehe an dem, was sie hinterlassen haben, dass sie mit kontraproduktiver Verzweiflung an dem perfekten Leben festgehalten haben, nach außen hin, aber vor allem vor sich selbst. Darunter ging es nicht. Das Leben sollte gelingen, es sollte großartig und glanzvoll sein. Das hatte man sich nach den Kriegs- und Nachkriegsjahren auch verdient. Und wenn es nicht so hinhaute mit dem Gelingen, was ja vorkommen soll, dann wurde nicht inne gehalten, Ziel überdacht, sondern maßlos übertrieben. Das hat was ganz Trauriges, Zwanghaftes und für mich erschreckend Rückwärtsgewandtes. Weil ich mich so gut erinnere –