Schriftstellerinnen leben wie Kerzen, die von beiden Seiten abbrennen.
Das Vorwort zu Stefan Bollmanns Buch Frauen, die schreiben, leben gefährlich (Elisabeth Sandmann Verlag, 2006), hat mich erst jetzt, via Facebook, erreicht. Eigentlich handelt es sich dabei um ein Essay, und geschrieben hat es Elke Heidenreich.
Der Text hat mich tief bewegt. Und erschüttert. Ja, es ist alles wahr. Auch wenn es so pathetisch klingt: Frauen, die schreiben, haben es bis heute schwer. Sie müssen für ihre Kunst wirklich und mit hohem Einsatz kämpfen. Nichts wird ihnen geschenkt. Im Gegenteil. Dass du schreibst, erzähle (als Frau!) besser niemandem. Niemand hat Verständnis dafür. Du merkst es an den immer gleichen, dämlichen Kommentaren. Zum Beispiel: „Hast du dafür Zeit?“
Eigentlich hat keine Frau der Welt Zeit zum Schreiben. Zeit ist es aber, was du wirklich brauchst, wenn dein Werk gut werden soll. In der Zeit, die du schreibend verbringst, sieht dich niemand. Du bist nicht auf Spielplätzen, nicht bei Elternabenden, nicht im Supermarkt, nicht auf Geburtstagsfeiern. Du bist auch in keinem Verein, und keiner sieht dich joggen oder im Fitnessstudio schweißtreibend Kalorien abbauen.
Die hat wohl was Besseres zu tun? Ja, hat sie! Es geht nicht anders. Die Geschichte in ihrem Kopf muss geschrieben werden.
Woran du auch gerade arbeitest/schreibst, der Text ist auf einer Metaebene immer in deinem Kopf. Es bestimmt dein Denken. Er begleitet dich jede Sekunde des Tages und der Nacht. Er überlagert dein Bewusstsein als Mutter, Geliebte, Berufstätige. Das muss ein Partner aushalten. Die meisten Männer halten es nicht aus. Männliche Autoren haben Frauen im Hintergrund, die ihnen den Rücken frei halten. Schriftstellerinnen müssen schauen, wie sie ihre Sachen auf die Reihe kriegen. Schlafen? Wurde schon immer überschätzt. Schreib nachts, oder stell den Wecker auf vier Uhr, dann hast du noch zwei satte Stunden, bis das gesellschaftlich geforderte Tagwerk beginnt.
Wir geistigen Frauen enden als Verliererinnen in Liebesgeschäften“, schreibt die argentinische Lyrikerin Alfonsina Storni, ehe sie sich mit 46 Jahren ins Meer stürzt. Auch die früheste aller Dichterinnen, Sappho, soll ihr Leben im Meer beendet haben. Sie war sich ganz sicher, daß Frauen genauso schreiben können wie die Männer, und hinterließ Verse wie diesen: „Sich erinnern an uns/wird, wie ich mein‘,/mancher in spätrer Zeit.“ Silvia Plath schrieb ihre Gedichte morgens vor fünf Uhr, ehe die Kinder aufwachten. Sie scheiterte am Schreiben wie am Leben und töteten sich, erst dreißigjährig, selbst. Genau wie ihre Kollegin Ingeborg Bachmann, die über Männer und Musen spottete: „Ihr mit euren Musen und euren Tragtieren und euren gelehrten, verständigen Gefährtinnen, die ihr zum Reden zulaßt!“ Karoline von Günderrode veröffentlichte ihre Lyrik zunächst unter dem Männernamen Tian, verzweifelte dann an der Unmöglichkeit, als Frau ein freies, kreatives, künstlerisches Leben zu führen, und stach sich 1806, im Alter von 26 Jahren, einen Dolch ins Herz. „Ich habe keinen Sinn für weibliche Tugenden, für Weiberglückseligkeit“, schrieb sie an Clemens Brentano Schwester: „Nur das Wilde, Große, Glänzende gefällt mir.“ Carson McCullers‚ großer Roman „Das Herz ist ein einsamer Jäger“ erschien 1940, sie hatte ihn mit nur 23 Jahren geschrieben. Der Erfolg ruinierte ihre Ehe mit einem erfolglosen Schriftsteller, Schlaganfälle und ein rastloses Leben ruinierten ihre Gesundheit – sie wurde keine fünfzig Jahre alt. Virginia Woolf steckte sich, verzweifelnd an den gesellschaftlichen Widersprüchen, Steine in die Jackentaschen und ertränkte sich, gerade fünfzig, in einem Fluß. „Meinem Mann gefällt es nicht, daß ich mich so ganz der Schriftstellerei widme“, schrieb die tschechische Schriftstellerin Bozena Nemcova, die mit 42 Jahren nach einer sehr unglücklichen Ehe starb: „Er sähe mich lieber als virtuose Hausfrau, ich begreife, daß wir dann glücklicher wären.“ Die Schriftstellerin Sybille Bedford sagte lakonisch: „Mutterliebe und Literatur lassen sich nicht vereinbaren.“ Und Elisabeth Langfässer schrieb 1947 in einem Brief: „Die Alltagsarbeit wird von Tag zu Tag schwieriger, und der Haushalt verschlingt die letzten Kräfte wie ein triumphierender Moloch, dem die Saftbrühe rechts und links vom Maul herunterläuft…. Immer fühle ich, was es heißt, eine Kerze an beiden Enden anzuzünden.“ – Es sind die Frauen, die den Alltag bewältigen, die Kinder großziehen, den Haushalt führen, und gleichzeitig wollen sie natürlich auch als Frauen wahrgenommen werden. Sie wollen gefallen und geliebt werden, wie jeder Mensch, wie jeder Mann. Und sie wollen leidenschaftlich für ihr Werk brennen. Nicht selten scheitern sie an der Gleichzeitigkeit, eine Liebe zu leben und sich künstlerisch zu etablieren. (nach: ELKE HEIDENREICH, Vorwort des von Stefan Bollmann herausgegebenen Bandes „Frauen, die schreiben, leben gefährlich“, Elisabeth Sandmann Verlag, 16.03.20016)
M., der Protagonist meines alten Lebens, begann fremdzugehen, als ich begann, mein Sachbuch über Leidenschaft, Die Perle in der Auster, ein letztes Mal zu überarbeiten. Ein Jahr Zeit gab ich mir dafür. Einen Verlag hatte ich schon, ich war beflügelt und motiviert. Ich war glücklich. Für die begrenzte Dauer dieses einen arbeitsintensiven Jahres – ich gehe auch noch einem Fulltimejob nach – schlief ich im Schnitt zwei bis vier Stunden. Mit den kostbaren, nächtlichen Stunden am Schreibtisch schützte und sicherte ich meine Arbeit. Ich wollte, dass sie gut wird. Ich war hochkonzentriert. Ich merkte nichts von dem Verrat, obwohl er mich täglich umgab.
Als mein Buch herauskam, die ersten Lesungen stattfanden und ich erfreuliche Besprechungen bekam, war M. schon weg. Mit einem schiefen Achselzucken hatte er sich verabschiedet und ließ mich zu Tode erschreckt zurück. Das war’s.
Was danach kam, war die Hölle.
Und jetzt? Ich komme zu mir. Ich schreibe wieder, ich lebe wieder. Es war ein harter Weg und ist es manchmal immer noch. Soviel dazu.
Der Text von Heidenreich hat mich wieder eingeholt. Den Schrecken für einen Moment zurückgeholt. Wenn du als Autorin nicht schreiben kannst, bist du in Gefahr. Wenn du deine Liebe verlierst, bist du auch in Gefahr. Von dieser Gefahr habe ich nichts gewusst. Wer weiß, vielleicht hätte ich das Schreiben sonst für die Liebe geopfert. Hat M. mir also letztlich nicht sogar einen Gefallen getan?