Donnerstag. Gestern beim Friseur saß neben mir eine Frau, so um die Dreißig, im Rollstuhl. Sie hatte kinnlange Haare, die ihr eben geschnitten wurden, kürzer, aber nicht ganz kurz, noch war nicht zu erkennen, wie der Schnitt werden würde.
Irgendwas in ihren Augen hielt mich fest, und ich sah nochmal und nochmal rüber und dann merkte ich, dass es sich gar nicht um eine junge Frau handelte, sondern um einen sehr jungen Mann.
Ich war sofort elektrisiert – die Thematik Gender-Identität, Transsexualität, Androgynie, Cross-Dressing interessiert mich seit jeher – und überlegte mir die Geschichte dahinter, was man eben so denkt, wenn die Phantasie irgendwo angedockt hat.
Der junge Mann, altersmäßig schwer zu schätzen, lächelte. Ich hatte den deutlichen Eindruck, auch wenn er mich ansah, lächelte er nicht mich an, sondern das war sozusagen ein Lächeln über die Welt.
(Wie kommt ein junger Typ dazu, so zu lächeln? Wie kann überhaupt ein menschliches Wesen so lächeln?)
Es zerriss einem das Herz. So und nicht anders. Später lächelte er noch einmal so, da sah er niemanden an, nicht mal sich selbst im Spiegel, er lächelte in eine Ecke rein, intensiv und leuchtend und nur mit den Augen. Ich schwöre, die Ecke wurde plötzlich hell.
Seine Augen sahen alles. Sie sahen in die totalen Tiefen der Menschheit. Der Typ redete so gut wie nichts. Und wenn, dann sehr leise. Er weiß nichts über sein Lächeln, da bin ich mir ziemlich sicher. Sicher ist er einer, der immer in der hintersten Reihe steht.
In der hintersten Reihe mit dem Blick in die Totale.
Als sein Haarschnitt fertig war, gefiel er sich, er drehte den Kopf, und jetzt lächelte er dem Haarschnitt zu. Er war ein sehr junger, fast transparenter Mann. Er rollte Richtung Kasse. Er war, was unter dem Friseurumhang vorher nicht zu erkennen gewesen war, viel zu dünn. Seine Arme, seine Kniee viel, viel zu dünn. Nur seine Augen waren stark.