Montag, B.N. Gestern Abend: Weinfest in Heimersheim. Dorothee, eine Freundin von PM, hat mich überredet …
Weinfeste sind sonst nicht gerade meine Art von Freizeitvergnügen, also mit Vorbehalten los, in einer aufgekrempelten Hose von PM und hohen Stiefeln und mit schnell nach hinten gegeelten Haaren fürs Coolheitsfeeling. Da ist dann das ganze Dorf in so ein Fest involviert, die Einwohner öffnen ihre Innenhöfe und du kannst essen und trinken oder wie im Mittelalter Messer, Pfeile, Bögen und Lederschmuck kaufen, es gibt eine Bühne, auf der eine Dudelsackkapelle aufspielt, und auf dem Dorfplatz steht ein Holzkohlengrill und lange, mit Sonnenblumen und buntem Bast geschmückte Tischreihen.
In einem “Backes” zeigt uns eine, wie sie hier noch Brot backen, zweimal die Woche. Der Ofen ist mit Technik ausgestattet, um die Hitze zu messen, ansonsten ist noch alles wie früher und das Brot sieht tatsächlich richtig gut aus.
Wir holen uns eine Currywurst mit Kartoffelecken. Seit zwei Jahren habe ich keine Currywurst mehr gegessen, mindestens. Dorothee geht es genauso. Wenn du sie so selten isst, dann ist jeder Bissen wie ein Hauptgewinn, meinte sie.
Unter einem malerischen Dach aus Weinlaub lassen wir uns nieder und trinken – Wein. Rotwein, dessen Reben man hier direkt von der Wand pflücken kann. Einen Tisch weiter sitzt eine muntere Truppe, von denen winkt jemand Dorothee zu: Hallo Dorothee!, und schon sitzen wir dazwischen.
Wir bekommen erstmal beide nachgeschenkt. Da sind also Manni und Eno und Marita und ich glaube Volker oder so ähnlich und dann noch ein belgisches Ehepaar, Zufallsbekannte, aber schon voll integriert, sozusagen. Die Belgierin erinnerte mich total an meinen Bruder, weshalb ich sie ununterbrochen anstarren muss. Ihr Gesicht ist mir ganz vertraut, obwohl ich sie ja noch nie gesehen habe, so würde also mein Bruder als Frau aussehen, denke ich, das ist ein sehr seltenes Phänomen.
Manni baggert ganz schön, ich schätze ihn auf 54, sein Sohn sei 19, erzählt er uns, und das würde ja ungefähr passen, aber dann frage ich einfach nach, und er sagt, nein, er sei 74, und sein ältester Sohn sei schon 43. Eno fragt, ob ich eine Schwester hätte, der Manni suche eine Frau. Es könnte auch eine Freundin sein, aber eine Schwester sei schon besser. Manni ist gut dabei. Die anderen auch. Sie alle finden Tübingen irre interessant.
Wo wohnst du in Tübingen?, fragt Eno, und ich überlege, wie ich ihm das jetzt am besten beschreiben soll und sage, du kennst Tübingen doch gar nicht. Doch, er sei schon mal durchgefahren, mit dem Fahrrad, sagt er. Ach so, sage ich, aber durch meine Siedlung bestimmt nicht, und während ich immer noch überlegte, fragt er, ob ich Tübingen von oben sehe.
Ja, sagte ich, aus meinem Fenster sehe ich Tübingen von oben, das Schloss, die Stiftskirche –
Siehtst du, sagt, er, das merkt man. Ich heiße übrigens Eros!, und er hebt sein Weinglas und grinst über das ganze Gesicht und zwinkert mit dem linken Auge.
Eros wie Ramazzotti?, fragt die Belgierin, und wenn sie lacht, sieht sie noch mehr wie mein Bruder aus.
Nee!, nicht Ramazzotti. Eno hebt den freien Arm gen Himmel: Eros wie der Eros!
Das muss die Truppe jetzt erstmal verarbeiten, dass aus Eno Eros geworden ist, sogar Marita guckt konsterniert.
Der Volker hat in 160 Ländern Hockey gespielt, sagte Manni. In ein-hun-dert-sech-zig Ländern!, das muss man sich mal vorstellen.
Volker nickt und fängt an von Ländern zu erzählen, die er vom Hockeyspielen kennt. Er sei ja auch, sagte Volker, in sieben Hockeyclubs.
Kann deine Freundin Ski fahren?, frag Eno Dorothee.
Kannst du Ski fahren?, frag Dorothee mich.
Fehlanzeige, nur Abfahrt, sage ich.
Wir waren immer in Lech Ski fahren, sagt Eno alias Eros. Einmal raste eine Frau in mich rein, genau da rein!, und er klopft mit der Hand auf seinen Brustkorb: Ich sah auf, sie sah auf. Noch nie habe ich in solche Vergissmeinnichtaugen geblickt. Es war Lady Di!
Was?, sage ich, die echte? Lady Diana aus England?
Eno, ähm, Eros nickt mit entrücktem Lächeln.
Manni nickt auch: Ja, das ist dem Eno passiert. Dem ist die echte Lady Di reingefahren. Die ging auch immer nach Lech zum Ski fahren. Wieder schenkt er mir Wein nach und versucht sich in einem vieldeutigen Blick.
Seid ihr jetzt schon verlobt?, fragte die Belgierin.
Kannst du tanzen?, fragt Eno.
Tanzen ja, sagte ich.
Ich muss mal wohin, sagt Dorothee, und ich rufe ihr nach: Warte, ich komme mit.
Zurück laufen wir auch wieder zu Fuß. Die fünf oder sechs Kilometer tun uns gut. Es ist dunkel, und in der Dunkelheit erzählt man sich viel. Es ist 23 Uhr, als wir zuhause ankommen, in PMs Zuhause. Um 23.40 Uhr ruft er an.