Falsch lieben

Samstag, Tübingen. Ich mag das Buch nicht. Mag die selbstgefällig gedrechselten Sätze nicht. Ich finde das Kapitel Ihr Brief zur Hochzeit, wegen dem es mir jemand, wahrscheinlich wohlwollend, vor über zehn Jahren geschenkt hat, sogar ganz besonders fürchterlich. Sogar ein bisschen krank. Eine Psychoanalyse hätte der Frau die Augen geöffnet über ihre fehlgeleitete Liebe, über ihr falsches Lieben – ja, das gibt es, wie in ihren frühen Jahren missbrauchte Frauen sich immer wieder in missbrauchende Männer verlieben, weil ihnen das Muster vertraut ist. Vielleicht wäre die Protagonistin geheilt worden. Wenn sie sich hätte heilen lassen.

Dieser fiktive Brief ist jedoch von einem Mann geschrieben, der mir sehr in seine Worte und Sätze verliebt scheint. Der Brief triggert und triggerte – damals und jetzt, beim nochmal Lesen wieder – ein scheinbar längst vergessenes Erlebnis aus meiner Studienanfangszeit:
Im Tübinger Theologicum – es wimmelte an der Fakultät von Pietisten, an die ich mich nie gewöhnen würde – hörte ich eine Kommilitonin zur anderen sagen: Du kannst Gott gar nicht entkommen. Er liebt dich, ob du willst oder nicht! – Darauf lachte die Andere irgendwie verärgert, drehte sich um und lief durch den langen Gang mit seinem damals schon gestrigen, vom Bohnerwachs glänzenden und riechenden Linoleum davon.
Ich fand das eben Aufgeschnappte befremdlich. Ich verstand, dass die Andere gegangen war. So liebt man nicht, dass der Andere nicht gefragt wird. So sollte auch der Autor seine Protagonistin nicht lieben lassen. Und nie im Leben liebt Gott so. Vielleicht wartet er, das wäre der schönere Gedanke, aber er erpresst nicht. Das Buch kommt jetzt vor die Haustür, soll sich jemand anderes dran abarbeiten.