Dienstag. Das MoMA ist nochmal eine ganz andere Erfahrung als das Metropolitan Museum. Hier wirken die Bilder viel unmittelbarer. Was natürlich an uns liegt; mit den Kunstwerken von Jackson Pollock, Andy Warhol, Jasper Johns sind wir praktisch aufgewachsen, mit dem Betrachten ihrer Arbeiten hat unser künstlerisches Auge sich gebildet und unser Verständnis von Kunst seinen Anfang genommen.
Die Eindrücke der zweiten Etage, die komplett dem Werk von Robert Rauschenberg gewidmet ist, wirken lange nach. Rauschenberg war besessen von der Idee, verschiedene künstlerische Ausdrucksformen zu verbinden zu Gesamtkunstwerken: Combines von Tanz, Musik und Gebrauchsdingen, von darstellender und gestaltender Kunst, von Technik, Handwerk, Alltagsleben. Seine Materialien waren Papier, Holz, Metall, Sand, Licht, überhaupt Strom und Elektrizität, ausgestopfte Tiere, Gummi, Abfall. Eben alles. (Nur das Wort, der Text, fehlt, das fällt mir auf.)
Von einer Dance Theater Group ließ er sich zu Performances oder bewegten Bildern inspirieren, von einem befreundeten schwedischen Ingenieur zu motorisierten Skulpturen. Und ein indischer Heiliger, den er in einem Ashram traf, öffnete ihm das Universum der Seidenstoffe und -farben.
Für den Besucher – für mich – ist das ein Geschenk, an dieser Entwicklung teilhaben zu können.
Kontrastprogramm: Der – öffentlich zugängliche – Trump-Tower. Über die komplette Stirnwand rieselt ein nie versiegender Wasserfilm über rostroten Marmor. Der Marmor in Verbindung mit dem vielen Glas, dem Gold und dem Pflanzengrün gibt dem mehrstöckigen, vom Grundriss atriumförmigen Raum etwas Dschungelhaftes, zugleich Leichtes und Schweres, irgendwie Dauerhaftes, und das ist ja wohl auch die Botschaft dahinter.
Mittags essen wir im Rockefeller Eisbahn-Café, das ich unbedingt sehen will. Jetzt, im August, stehen Tische und Stühle da, wo im Winter die weltberühmte, aus so vielen Spielfilmen bekannte Eisbahn ist, und auf einem Riesengrill dreht sich ein komplettes Schwein am Spieß, weshalb wir in Sekundenschnelle mit Fettdunst eingenebelt sind. Rings um das Carré flattern die Fahnen sämtlicher Mitgliedsländer der Vereinten Nation und der US-Staaten.
Wir sind schon immunisiert gegen den dicken Farbauftrag: den Kitsch, das Gold, die vorgebliche Nähe zur Antike. Die goldene Statue, die eine ganze Seite des Cafés – oder der Eisbahn – dominiert, stellt Prometheus dar, und dass sie von deprimierender Hässlichkeit ist, nimmt man nur noch am Rande wahr. Über der Statue steht ab November der weltberühmte Riesenchristbaum mit dem weltberühmten Riesenstern aus 25.000 Swarovskikristallen – drei Meter Umfang und 250 Kilogramm Gewicht – auf der Spitze. Gold, Glitzer, vor allem aber Größe scheinen für Amerikaner die Bestandteile zu sein, um sich in der richtigen Dimension darzustellen. Uns kommt das unbescheiden, gar protzig vor, so auch die eilfertig wertenden Kommentare im Reiseführer. Dabei können wir doch davon nur lernen, die wir ständig unser Licht unter den Scheffel stellen, weil wir meinen, dass das den Anstand ausmacht und uns mehr nicht zusteht als Kopp runter und auf die Schuhspitzen gestarrt.
Hier in Manhattan liegt ganz viel altes Geld, das sich verschwenderisch Denkmäler setzt. So what? Es wird gezeigt, und die New Yorker und New-York-Touristen haben ja auch was davon, in unserem Fall einen sonnigen Nachmittag im Rockefeller Café bei Gemüsesticks an dreierlei Tipps, bzw. Burger für Theo. Theo ist mittlerweile Burgerspezialist. Er testet das amerikanische Nationalgericht geradezu systematisch durch und stellt signifikante Unterschiede fest.
Nach einem Powernap im Hotel machen wir uns auf den Weg zu einer Night-Tour im Bus. Der Ticketverkäufer kommt aus Ghana, war mal in Frankfurt und ist, wie PM und Theo, Mönchengladbach-Fan. Nach einem intensiven Kurzaustausch über das Thema Nr. 1 beschließt er, dass wir den Einsatz wert sind, und er bugsiert uns am mit Handzeichen eingeweihten Busfahrer und der Warteschlange einschließlich böser Blicke vorbei auf die drei einzigen noch freien Plätze des begehrten Oberdecks.
Es ist unglaublich entspannend, sich durch Gegenden fahren zu lassen, die du z.T. schon kennst, aber nun aus einer anderen Perspektive wahrnimmst. Der Tourführer ist ein imposanter Schwarzer mit Cornrows und taillenlangen Rastazöpfen. Vielleicht ist er in seinem eigentlichen Leben Schauspieler oder Tänzer oder Backgroundsänger oder Musicalartist. Bei der Überquerung des East River über die Brooklyn Bridge schreit er: Stand up! Stand up!, indem er krachend in die Hände schlägt, und das Ah und Oh und die hochgerissenen Smartphones kann man sich ja vorstellen. Ein doppeltes Lichtermeer, einmal real, einmal gespiegelt im Wasser, das ist Manhattan bei Nacht. Und auch diese unglaubliche Brückenkonstruktion gibt es in doppelter Ausführung in Gestalt der benachbarten Manhattan-Bridge. Oben fahren Autos, unten Züge, bis zum Horizont ist alles hell erleuchtet, du fragst dich, wer da hinter den Abermillionen von Fenstern am PC hockt oder am Esstisch streitet oder in der Badewanne liegt und an nichts denkt. Du denkst irgendwie an Strom, an Unmengen von Strom und was passieren würde, wenn der mal ausfällt und wie lange es wohl dauern würde, bis die Stadt wieder in die Gänge käme.
Was wir von Brooklyn zu sehen bekommen, ist erstaunlich wenig attraktiv. Die Gebäude eher funktional als kreativ, aber es ist ja auch nur ein mini Ausschnitt. Auf der Rückfahrt noch einmal diese Lichterimpression, zum Niedersinken schön, es ist 23 Uhr. Der Tourführer hat inzwischen auf seinem Smartphone ein paar Titel ausgewählt, American Rap, er danct und kiekst und groovt, dass seine Zöpfe nur so fliegen, jetzt hält ihn nichts mehr, ganz klar, das Busdeck ist seine Bühne, und er, er ist der Rolling Star in den Straßen von New York.
Wir landen am Time Square, und der ist ja irgendwie “nicht meine Welt”, wie PM feststellt. In einer ruhigeren Gegend finden wir ein zünftiges Steakhouse, wo wir Fisch bestellen, mit Ausnahme von Theo, der seinen vierten oder fünften Burger ordert und sich sehr zufrieden mit seiner Wahl zeigt.