Freitag, B.N. Auch hier heißt die Hauptverkehrsstraße Wilhelmstraße. Auch hier heißen die Straßen eines Wohnviertels aus den Sechzigern Sudeten-, Danziger- oder Tilsiterstraße. Und die Weinbergstraße gibts in Tübingen auch, sodass sich für einen Augenblick die Bilder verwirren.
Auch hier reden die Leute Dialekt. Den verstehst du ohne Anpassungsphase, obwohl du im ersten Moment glaubst, die machen nur Spaß.
Es gibt nur einen Buchladen, nur ein Antiquariat und kein einziges ernstzunehmendes Schuhgeschäft. Dafür an jeder Ecke ein Lokal. Hier wird rheinländisch gekocht, und dazu werden Weine aus der Region gereicht.
Den meisten scheint es sehr gut zu gehen. Sie leben vom Wein und von Touristen. Von beidem gibt es reichlich.
Die Leute hier gehen sehr mit, wenn sie sich etwas erzählen. Das ist ihre Art, Empathie zu bekunden. Sie reißen die Augen auf, schlagen die Hand vor den Mund oder legen sie dir auf den Arm, um ihr Zuhören außerdem mit Einwürfen wie Boah! Nee ey! Ährlich? Da sachse watt! zu unterstreichen, was dann wiederum mit einer energischen, seitlichen Kopfbewegung unterstrichen wird.
Ich hab mir dieses Mitgehen weitgehend abgewöhnt. Im Ruhrpott sind wir ja auch so ultra empathisch. Die Schwaben aber erstarrten jedesmal, als hätte ich meine Tabletten vergessen einzunehmen. Deshalb bin ich mit der Zeit ganz unemotional geworden, ziemlich schnell sogar, ich bin schließlich assimilisierungsfähig. Keine aufgerissenen Augen mehr, keine vor den Mund geschlagene Hand. Kaum Mimik. Natürlich auch kein Boah! und so. Nur ein sachtes Nicken. Auch schon mal eine hochgeschobene Augenbraue. Ein zustimmendes Lächeln mit geschlossenen Lippen. Alles schön sparsam, auch in den Gefühlen.
Bliebe ich noch zwei Wochen länger, würde ich glatt wieder damit anfangen. Echt jetzt! Auch wenn es mir im Moment noch etwas theatralisch vorkommt. Ich merke bereits erste Anzeichen. Heute zum Beispiel rief ich Pah! aus, als eine Verkäuferin lustige Bemerkungen über einen hautengen Lurexfummel machte. Erschrocken schielte ich zu ihr rüber und war ganz erleichtert: Die Tante hatte den Kopp in den Nacken geworfen und war ebenfalls am Lachen. Mit geschlossenen Augen und offenem Mund! Noch dazu über ihren eigenen Witz.
Es ist wohl so, dass das mit den Straßennamen nichts zu bedeuten hat. Alles ist ganz anders.
Und deshalb heißt die zweite Hauptstraße hier auch Schützenstraße.