Gutes und Schlechtes

Sonntag Morgen. Allein in meiner Wohnung – tut manchmal gut.

PM ist gestern Mittag nach Eisenach gefahren, nachdem er die ganzen Lebensmitteltüten hergebracht hatte und wir im Meze essen waren und er heute Morgen endlich mal ausschlafen konnte ohne Klinikstress – abgesehen von den Anrufen seiner Patient*innen, die ihn bisweilen sogar noch um Mitternacht anklingeln, um ihre „Darmwinde“ oder ihre Medikamentenunverträglichkeit persönlich mit IHM auszudiskutieren.

Die Suppe, Nachspeisen u.v.m. stehen schon auf der Terrasse, den Hauptgang übernehmen W. und A., sodass ich mich heute mehr oder weniger dem Tischdecken und Schmücken des Weihnachtsbaumes widmen kann, den wir gestern zusammen aufgestellt haben – in einem farrrrbelhaften, neuen Ständer. Hätte ich längst anschaffen sollen, um mir das elende Schrauben am alten Baumständer zu ersparen.

Heidesand mit Meersalz werde ich gleich noch backen, Rezept von Susanne, und die letzten Geschenke verpacken. Die weiß-goldenen Päckchen türmen sich im Moment noch in einer Ecke im Esszimmer, ich krieg mich gar nicht mehr ein, wie gut das aussieht!

Hab gerade beim Klavierspielen im Notenständer ein ungeöffnetes Weihnachtspäckchen vom letzten Jahr gefunden ….

Seit ein paar Tagen lese ich die Autobiographie von Alma Mahler-Werfel. Was für eine spannende, seltsam manipulierende, zwischen Intellektualität, Standesdünkel und Aberglauben schwankende, lebenslang um ihren eigenen Mittelpunkt ringende Frau!, die den hämisch-neidisch männlichen Bewertungsblick nie los geworden ist. Wie gut, dass sie die Deutung über ihr Leben selbst in die Hand genommen hat – inklusive aller Lebenslügen. Eine unzuverlässige Erzählerin in eigener Sache? Ihren Lebenssinn fand sie als Muse mehrerer großer Männer. Für diese Fremdbestimmung scheint sie sich durch konsequentes Fremdgehen gerächt zu haben. Gustav Mahler verbat ihr das Komponieren, dafür durfte sie seine Partituren abschreiben! Oskar Kokoschka sperrte sie ein und bewachte sie, weil er vor Eifersucht den Verstand verlor – und sein Atelier schwarz anstrich. (Später ließ er sich nach seinen detaillierten Anweisungen eine Alma-Puppe in Lebensgröße aus Stoff anfertigen, die er nach einer ziemlich alkoholischen Fete in seinem Garten köpfte!) Gekauft habe ich mir das Buch, nachdem ich eine Kokoschka-Biographie gelesen hatte, in der Alma mehr oder weniger wie ein Monster erschien. Gegenüber ihren Kindern war sie tatsächlich manchmal ein Monster. Nur ein Kind schaffte es, sie zu überleben. Ganz seltsam auch ihre Zwiespältigkeit gegenüber Juden, nachdem sie mehrere berühmte, jüdische Künstler abgöttisch geliebt und drei Kinder von ihnen bekommen hatte (bis auf die Tochter mit Walter Gropius, deren Schönheit Alma auf ihre „arische Herkunft“ zurückführte). Leider wird einem Franz Werfel durch seine Tagebuch-Auszüge entsetzlich unsympathisch. Ein alberner Gockel … jedenfalls in seiner Beziehung zu Alma.

Blick zurück: Wie viel Schlechtes / Tödliches habe ich in den fünf vergangenen Jahren aus meinem Leben verbannt, und wie viel Gutes / Lebendiges habe ich dafür bekommen (Balkon-Einsichten).