Italienische Reise – Pasta und Paläste

Samstag, Follonica. Drei Tage Gardasee/Desenzano (7.-10. August) braucht es, um sich überhaupt erst in den Urlaubsmodus einzufinden.

Per Schiff fahren wir verschiedene Städte an. Mit Abstand die schönste finde ich Lazise. Die Häuser sind bis in den See reingebaut, direkt am Hafen steht das alte venezianische Zollhaus und daneben eine kleine romanische Kirche mit Fresken aus dem 12. Jh. Den Boden des unverhältnismäßig großen Marktplatzes ziert ein dekoratives Schachbrettmuster. Schöne Läden. Flippiges, khakifarbenes T-Shirt gekauft.

Abends in Desenzano innovativ biologischdynamischneoitalienisch gegessen und reichlich ProSecco getrunken.

Vorwärts, und nicht vergessen, sagt PM irgendwann.

Haben wir auch gesungen, sage ich. Zum 1. Mai auf dem Tübinger Marktplatz!

Ihr habt gesungen, wir haben es gelebt. Sagt PM.

Mi., 10. August: Weiter nach Assisi, wo wir in einem bemerkenswerten Hotel absteigen: Hotel Villa in Bastia Umbra (Geheimtipp!). Zu unserem Erstaunen sind wir fast die einzigen Gäste. Das großzügige, wunderschön eingerichtete Haus mit der lässigen Atmosphäre einer 19.-Jahrhundert-Bohème-Residenz liegt in einem Park, der einschließlich dem komfortablem Schwimmbecken keine Wünsche offen lässt. Wir essen im Hotelrestaurant ein sehr gutes Trüffelgericht, eines der wenigen Gerichte auf der Karte, die überhaupt erhältlich sind. Außer unserem ist nur noch ein Tisch belegt. Auf dem weitläufigen, rund um das Haus führenden Balkon trinken wir noch ein Fläschchen Sekt und betrachten von oben den menschenleeren, sanft beleuchteten Park.

Zum Glück haben wir direkt nach dem Einchecken schon eine Runde durch Assisi gedreht, sodass wir uns am nächsten Tag im Wesentlichen auf die Franziskuskathedrale konzentrieren können.

Abgesehen von der Tatsache, dass ich seit mindestens 20 Jahren nach Assisi will und die Erwartungen entsprechend hoch sind, ist Assisi nach Jerusalem das Beeindruckendste an Kulturschaffung, was ich bisher gesehen habe. Sakrale Kunst in Höchstform (ohne einen zu erschlagen, wie ich es in Rom manchmal empfunden habe): Eine Stadt, die sich seit dem 12. Jh. kontinuierlich zu ihrer heutigen Gestalt entwickelt hat nur aufgrund eines einzelnen Bürgers, dem es gefiel, das Armutsideal neu zu entdecken und zu leben.

Nun, das mit dem einzelnen Bürger stimmt nicht ganz, denn Franziskus sah sich von Anfang an in Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, alles Söhne reicher Kaufmannsleute, wie zum Beispiel Bernardo di Quintavalle, der Franziskus’ Sache entscheidend mitgetragen und vorangetrieben hat. Ich stelle mir die Truppe so ein bisschen wie die Jesus-Freaks in den Siebzigern vor. Sehr bewegend: auf dem Platz zu stehen, wo Franziskus sich vor über 800 Jahren vor den Augen der schockierten Menge nackt ausgezogen und seine Kleider dem Vater zurückgegeben hat, als Akt der Ent-Vaterung sozusagen. All diese Lebensstationen sind von Giotto auf den Wänden der Doppelbasilika dokumentiert.

Gefühlsmässig erwischt es dich spätestens, wenn du – durch dickes Panzerglas gesichert – vor der Originalkutte des Heiligen Franziskus stehst. Die ist nämlich ein kunstvolles Patchwork-Teil mit großen und kleinen Flicken, vom Mönch höchstselbst mit feinsten Stichen aufgenäht. Und dann liest du, dass er einige dieser Flicken aus der Kutte seiner Freundin im Geiste, der Heiligen Clara, herausgeschnitten hat. Als Zeichen seiner Verbundenheit mit ihr. Erst vor wenigen Jahren wurde dieses Detail von einer Archäologin durch Stoffanalyse entdeckt, und es sagt viel über die menschlichen Beziehungen innerhalb des Ordens und Franziskus’ Emotionalität aus.

PM trocken: Klar haben die auch gevögelt! PM wird es bei so viel Heiligkeit eher mulmig statt mystisch, er glaubt nicht, dass Franziskus nur insofern mit Vögeln zu tun hatte, indem er ihnen Predigten hielt.

Das Allerbeeindruckendste für mich ist, dass PM sich beeindrucken lässt.

Geht man anschliessend in die etwas außerhalb liegende Chiesa Maria degli Angeli mit der kleinen Portiuncula in ihrem Innern, dann fragt man sich, weshalb die katholische Kirche sich hier dermaßen selbst demontiert. Die Botschaft geht jedenfalls nach hinten los: Das Kirchlein, einst von Franziskus’ Händen aufgebaut, verliert sich in der Pracht des sakralen Überbaus wie ein dummes Spielzeug.

Am nächsten Abend wollen wir wieder in der schönen Veranda des Hotels essen. Doch als wir von unserem Zimmer herunter kommen, liegt der Kellner auf der Chaiselongue vor der Bar und schnarcht. Auf Zehenspitzen schleichen wir zur Rezeption, wo wir erfahren, dass heute wg Gästemangels die Küche geschlossen bleibt. Aber zwei Straßen weiter gebe es eine sehr gute Pizzeria.

Und so ist es, die Pizza ist hauchdünn und mit köstlichem Parmaschinken belegt. Und der ProSecco ist von Zonin, was PM’s Herz höher schlagen lässt. Der Abend ist gerettet, er wird sogar noch recht lustig, weil der Wirt ein spaßiger Geselle ist.

Fr., 12. August: PM will erst nicht, ich will: Perugia sehen. Ist ja immerhin die Partnerstadt meiner Stadt. Ich sage: Eine Stunde und nicht länger! Wir fahren also nach Perugia und stellen das Auto in einem Parkhaus ab, von wo es per Rolltreppen direkt in die Altstadt hoch geht, immer weiter hinauf, bis wir in der Dunkelheit eines irre hohen, unübersichtlichen Burggewölbes landen.

Das ist schon ziemlich abgefahren. Später lesen wir nach, dass diese Burg, die Rocco Paolina, einst vom Papst als reine Machtdemonstration erbaut und 200 Jahre später von den erbosten Bürgern Perugias geschliffen wurde. Sachen gibt’s! Und heute fahren in dem Palazzo Protzo die Rolltreppen rauf und runter!

Wir sind kirchenmüde, außerdem lässt sich Assisi sowieso durch nichts mehr toppen. In eine Kirche rennen wir fast gewohnheitsmäßig doch noch rein, ansonsten laufen wir über prächtige Plätze und durch reich bebaute Straßen oder düstere, weil schmalste Gässchen, fotografieren viel, trinken einen Capuccino und sind nach eineinhalb Stunden bereit zur Weiterfahrt.

Von Perugia gehts weiter nach Follonica, an die Mittelmeerküste. Und da sind wir jetzt, haben eben eine Dorade gegessen und noch eine Runde gedreht und sitzen auf dem Balkon unseres Zimmers im Golfo del Sole und halten nach Sternschnuppen Ausschau.