Freitag, Tel Aviv. Jerusalem also. Also die Hinfahrt. Die Parkplatzsuche.
Die Altstadt. Der Tempelberg. Und dann die Klagemauer.
Was da in dir vorgeht, wenn du vor der Klagemauer stehst, diesem Restbestand des ersten Tempels, die alten Ritzen gespickt mit Dankes- und Bittzettelchen, von Frauen gesäumt (ich war natürlich auf der Frauenseite), die ihre Stirn und ihre Handflächen an das Gemäuer pressen und die Augen schließen, das kann u. will ich hier nicht darstellen
Nur so viel: Es lässt dich, niemanden, kalt. Es berührt dich, mehr als du vermutet hast. Es weckt Erinnerungen, Sehnsüchte. Es lässt dich nicht ungeschoren davonkommen.
Etwas trinken in der Hitze. Etwas herumlaufen, um die Emotionen wieder einzuebnen. Und immer wieder der Blick auf den Felsendom, die Al Aqsa-Moschee und den von Gräbern überzogenen Ölberg (weil der Messias nach seiner Ankunft von hier aus mit allen Auferstandenen in das Jüngste Gericht starten soll, da will man doch an vorderster Front stehen).
Der Souk nimmt dich auf mit tausend Armen. Du fängst an zu sehen, zu riechen, zu fühlen, du bleibst stehen und weißt nicht mehr wohin zuerst. (Vorsatz: Nur gucken, nicht kaufen, und am besten auch nicht so genau gucken, sonst willst du doch kaufen, anfallartig.)
Bei der Davidszitadelle gabelt uns ein Guide auf: Ein Glücksgriff. 200 Schekel handeln wir aus für, na ja, er schätzt 1 1/2 Stunden, als wir ihm sagen, was wir noch alles sehen möchten. Aus den 1 1/2 werden 2 1/2 Stunden und ein gutes Trinkgeld dazu (PMs legendäre Großzügigkeit). Unser Guide ist total stolz auf seine Stadt. Wenn er den Eindruck hat, wir haben nicht richtig verstanden oder nicht richtig hingehört, dann stubst er einen leicht an der Schulter und wiederholt seine Botschaft, zwei- oder auch dreimal. Er hat eine Mission und wir haben nur diese eine Chance, er nimmt seine Sache ernst. Er spricht Englisch, aber auch ganz gut Deutsch. Er war schon mal in Germany, in Siegburg; als PM sagt, er komme aus Bonn, ist er von da an ganz bei uns (und vergisst das andere Paar, das irgendwann dazu stößt, beinahe komplett).
Vom Grab Davids und dem Room of the Last Supper laufen wir die 14 Leidensstationen der Via Dolorosa bis zur Grabeskirche ab.
Die 2. Station – Jesus wird das Kreuz auferlegt – befindet sich im Hof des Franziskanerklosters. Zwischen der Geisselungskapelle und der Verurteilungskapelle liegt ein wunderschöner Garten, der gerade von den Franziskusbrüdern bewässert wird. Unser Guide erzählt in bewegten Worten und mit dramatischer Gestik von der schweren Bürde des Holzkreuzes auf Jesu Schultern. Mich berührt das wenig und ich frage PM, ob es ihm genauso geht. PM mit schmerzverzogener Miene: Nein, ich spüre mein Kreuz!
Unser Guide ist Moslem, ein in allen drei Religionen bewanderter Mann. Ich sage ihm, dass ich Theologin sei und er sich in den biblischen Geschichten kürzer fassen könne. Das freut ihn. Sein Steckenpferd ist eindeutig die Archäologie. Immer wieder hält er an und weist uns auf besondere Steine im Jerusalemer Gemäuer hin – Steine, die aus den früheren Schichten der Stadt stammen und sozusagen recyceled wurden. So finden sich inmitten einer Hauswand oder auch mal im Strassenpflaster Säulenfragmente, viel zu große Ecksteine oder eingemeißelte Schriftzeichen aus einer ganz anderen Epoche.
Unser Guide besteht darauf, dass wir neben der historischen Stadtmauer auch die Reste der alten, vorrömischen Stadtmauer zur Kenntnis nehmen. Immer wieder fragt er uns, ob wir das auch verstanden haben: dass die Ereignisse um den Tod Jesu sich überwiegend außerhalb der (heutigen) Stadt abgespielt haben. Wir steigen auf die Dächer der Altstadt, und wieder zeigt er die zweifache Grenze/Mauer der Stadt und dann die Grenze – die Mauer – weiter hinten, um das palästinensische Bethlehem herum.
Es gibt keinen Glaubenskrieg, sagt unser Guide. Es gibt nur politische Interessen.
Hier in diesen Wohnungen leben bis zu fünf Familien!, sagt er und zeigt auf die Tür eines alten Wohnhauses: Trotz der Enge gehe niemand aus Jerusalem weg, keine Familie gebe ihr Haus auf. Manche halten seit mehreren Jahrhunderten die Stellung!
Hm. Klingt für mich eher wie ein Alptraum.
Genauso halten es natürlich die Bewohner des jüdischen Viertels. Hier haben reiche Amerikaner Häuser und damit zusätzlichen Wohnraum gestiftet, ihre Namen sind in das Gemäuer eingraviert. Die orthodoxen Juden sind allgegenwärtig. Sie sind erstaunlich blass und viele gehen gebeugt, obwohl sie zum großen Teil so jung sind. Oft sind sie als Familie unterwegs. Sie schieben Kinderwagen, an denen, abgesehen von dem Säugling, noch zwei, drei weitere Kinder hängen. Die Männer, wenn sie alleine unterwegs sind, schauen beim Laufen auf den Boden, und sobald sie zum Stehen kommen, etwa in einer Warteschlange, ziehen sie den Talmud aus der Tasche und fangen an zu lesen. Ihre schwarzen Hüte, unter denen noch eine schwarze Kippa hervorlugt, die schwarzen Mäntel und Hosen und die leider sehr undekorativen Schläfendreadlocks lösen bei mir ähnliche Gefühle aus wie die Komplettverschleierten, die in Godesberg herumlaufen, das muss ich leider sagen.
(Einer von ihnen hat mich vor der Klagemauer völlig entgeistert, nein, von Ekel erfüllt angestarrt, als ich mich zuerst versehentlich am Eingang der Männerabteilung aufgestellt habe. An seinem Blick hab ich es überhaupt erst gemerkt. Da kommt man sich schon sehr seltsam vor und sehr nach nachgeordneter Menschengattung.)
Das Schwarz ist die Farbe der Trauer, erklärt der Guide. Trauer über die Zerstörung des 1. und des 2. Tempels. Das wären dann dreitausend Jahre Trauerbekleidung, Trauer nicht um einen verlorenen Menschen, sondern sozusagen um ein Gebäude. Das ist verdammt lang. Auch die orthodoxen Frauen tragen schwarze, wadenlange Röcke und farblose Oberteile, ihr ganzes Leben lang.
Die letzte Station ist die Grabeskirche. Hier herrscht großes Gedränge und Geschubse und auch eine leichte Hysterie, als es in die heilige Kammer geht. Am besten gefallen hat mit die Kapelle, die ganz unten liegt, ohne Schmuck, nur kühles Gemäuer, da war ich auch ganz alleine. Der Guide meinte, das wäre die armenische Abteilung, aber das glaube ich nicht. Es muss irgendeine kleinere Konfession sein (Syrische Jakobiten? Kenne ich nur aus dem Reiseführer).
Lustig: Wegen des ständigen Kompetenzgerangels unter den christlichen Konfessionen übergab im 6. Jh. Sultan Saladin die Schlüsselgewalt über die heilige Stätte einer muslimischen Familie aus Jerusalem. Deren Nachkommen schließen bis zum heutigen Tag morgens auf und abends wieder ab. Was für eine weise Entscheidung!
Unser Guide kennt sich im Souk aus wie in seiner Westentasche. Er zeigt uns die “echten” Gassen und die “Touristengassen”. Er kennt und begrüßt viele, lässt sich aber nicht aufhalten. Zum Schluss treibt er uns im Eilschritt zu einem Gips-Modell des antiken Jerusalem und dann noch einmal zu diesem und zu jenem Stein, der unserer Aufmerksamkeit vielleicht entgangen sein könnte, bevor wir uns herzlich von ihm verabschieden.
Über die Alrov Mamilla Avenue, eine moderne Einkaufsstraße, geht es am Abend zurück. In einem Café legen wir die Füße hoch und trinken einen giftgrünen Minze-Lemon-Mix. Direkt unter uns, im Parkhaus, wartet das Mietauto…