Manazuru

Donnerstag. Hiromi Kawakami hat in ihrem Roman Am Meer ist es wärmer das lange Ende einer Liebesbeziehung beschrieben. Darüber gibt es schon unendlich viele Bücher, aber Kawakami, die zu den bekanntesten Schriftstellerinnen Japans gehört, fokussiert den Schmerz, die Verletzung, die Eifersucht, den Hass und das Begehren eines Geliebten, der nicht mehr da ist, atmosphärisch in einer solchen Zartheit und Intensität, dass es direkt ins Herz zielt.
Rei, der junge Familienvater, ist eines Tages verschwunden. 13 Jahre ist das her, seine Frau Kei hat inzwischen einen anderen Mann gefunden, mit dem sie intellektuell und sexuell zwar gut harmoniert, doch nicht annähernd die sinnliche Erfüllung findet, die sie mit Kei erleben durfte.
Als sie den Namen eines Ortes – Manazuru – in Reis Tagebuch entdeckt, beginnt sie ihn dort zu suchen. Manazuru wird zu ihrem Sehnsuchtsort, immer wieder reist sie auf die Halbinsel, lässt Tochter und Mutter allein zurück, um Rei nahe zu sein. Gleichzeitig erklärt ihr Schwiegervater den Sohn nach all den Jahren für tot. Keis Träume und Phantasien verschwimmen immer mehr mit der Realität, je mehr sie Rei auf der Spur zu sein scheint. Ihre Suche führt sie zurück zu Augenblicken von vollkommener Verschmelzung mit einem Mann, der es, wie wir nur am Rande erfahren, nicht immer gut mit ihr gemeint hat.
Rei bleibt für die Leserin nicht greifbar, bis zum Schluss weiß man eigentlich nicht, womit er sich die leidenschaftliche Hingabe seiner Frau auch viele Jahre nach seinem Untertauchen verdient hat. Aber die Liebe folgt nicht den Regeln der Logik. Und sie kann auch über den Tod hinaus das Denken und Handeln der liebenden Person bestimmen. Doch ist Rei überhaupt tot?
Ein Buch, in dem die phantastischen Momente streckenweise die Realität aus den Angeln heben, aber so what! – gehört die Frage, was real ist und was irreal, nicht zu den uninteressantesten Fragen der Welt?
Kei liebt. Sie liebt absurd, verzweifelt, aufgegeilt, sehnsüchtig, mit viel Traurigkeit und einem Lächeln, das über all ihrer Trauer liegt. In Manazuru, am Meer, ist es wärmer, doch sie muss wieder zurück, in den Alltag. Was das Verschwinden des Partners mit der zurückgelassenen Person anstellt, darüber scheint Kawakami viel zu wissen, und auch wer es selbst nicht erlebt hat, der bekommt nach diesem Roman eine Ahnung davon.