Sonntag. Vier unterschiedlich große Flüchtlingsheime, zusätzlich zu den bereits bestehenden, werden in den nächsten Wochen in unserer unmittelbaren Nähe gebaut, zwei weitere in mittelbarer Nähe, alle sechs Neubauprojekte also in der Südstadt für je 60 bis 150 Flüchtlinge. Was macht das aus meinem Stadtviertel?, frage ich mich, und auch, ob mir das jetzt nicht doch ein bisschen Angst macht und ob ich auch in Zukunft so unbekümmert wie bisher abends und nachts zu jeder beliebigen Uhrzeit mit dem Fahrrad oder zu Fuß unterwegs sein kann. Das bin ich nämlich, auf dem Heimweg von Freundinnen, von Veranstaltungen oder einfach vom Bahnhof, zurück aus B.N. nach fünf Stunden Stillsitzen im Zug und mit dem dringenden Bedürfnis, die paar Schritte mit meinem Rollköfferchen nach Hause zu laufen.
Werden sämtliche Vorhaben in Tübingen realisiert, wird damit Wohnraum für 2034 neu ankommende Flüchtlinge geschaffen. Soweit die Auflage. OB Palmer, obwohl er bekanntlich die Finanzierung kritisch einschätzt (ohne Steuererhöhung nicht machbar, wer zahlt die Sache, Bund oder Land?) hat sich vorgenommen, der Letzte zu sein, der das nicht schafft.
Und ich frage mich, warum eigentlich nicht in Halbhöhenlage – und weiß doch im selben Augenblick, dass Fragestellungen dieser Art mit schlechtem Gewissen belegt sein müssten, weil Missgunst eine der sieben Todsünden ist. Und trotzdem betrachte ich von meinem Fenster aus die grünen Hügel auf der anderen Seite des Neckars, wo die Professoren wohnen und die Verbindungsheinis in burgähnlichen Anwesen ihre Feste feiern und wo es mit Sicherheit auch das eine oder andere Fleckchen städtischen Baulands gibt, aber wohl auch eine erhöhte Kampfbereitschaft gegen die Beschlüsse der Stadt.
Doch eigentlich geht es gar nicht um Standorte und um Zahlen. Es geht um die Geschichten, die mich aus den Medien anfallen: Silvester am Kölner Domplatz, Überfälle auf Joggerinnen, Sprengstoffanschläge …
Einzelfälle, keine Pauschalverurteilungen, ich weiß das, und gleichzeitig besorge ich mir ein Pfefferspray und dreh mich abends öfter um und fühle meinen Herzschlag deutlicher, wenn Schritte hinter mir sind. Ich will das nicht, aber ich will es auch nicht leugnen.
Ich habe Angst vor struktureller Gewalt, vor Männergewalt, die in manchen Herkunftsländern legitimiert ist und die bei uns als weitgehend besiegt gilt, spätestens, seit 1997 eheliche Gewalt unter Strafe gestellt ist und damit keine öffentliche Akzeptanz mehr erfährt, auch wenn sie im Verborgenen weitergeht, u.a. deshalb, weil nur jedes zwölfte Opfer sexueller Gewalt Anzeige erstattet. Gewalt gegen Frauen 2.0, zu der üblichen nun die importierte Gewalt, wie es Alice Schwarzer nennt …
Eine neue Wirklichkeit in einer alten Uni-Kleinstadt – da bleibt nur, mit einem Vorschuss an Zuversicht abzuwarten.