New York, die Erste!

Sonntag. Als wir den Flieger verlassen, das Procedere mit Auschecken und so überstanden und unsere Koffer geholt haben, reihen wir uns in die Warteschlange für ein Taxi ein. Das ist alles ganz geregelt, genau wie am Flughafen Tel Aviv: du wirst von langen Plastikbändern mehrfach um die Kurven geführt, bis du dran bist und deinen Zielort angibst:

Manhattan!

Die Black Lady in Uniform studiert einen Organizer oder tut so als ob und weist uns das vorderste Taxi zu. Ah ja, da wäre man jetzt auch selbst drauf gekommen, aber es ist schon ganz cool, wenn die Dinge so ihre Ordnung haben.

Da hocken wir also zu dritt, Theo, PM und ich, auf der Hinterbank so einer gelben, wahnsinnig altmodischen Taxikutsche, wie man sie aus amerikanischen Spielfilmen kennt, in der Glasscheibe zwischen uns und dem Taxifahrer diese viereckige Aussparung zwecks Kommunikation mit Letzterem, doch der hört Klassikradio und ist nicht zum Kommunizieren aufgelegt.

Zuerst ist da nichts als Vorstadtwüste. Dann erste Häuser, Holzleichtbauweise und aus der Entfernung entfernt an Landhausstil erinnernd, doch man sieht schnell, dass die Vorgärten, die Höfe mit den alten Autos, die bleiche Farbpalette von Grau bis Altrosa ein Bild aufrecht zu halten versuchen, das mehr oder weniger in Resignation versinkt. Es ist die ärmere Bevölkerung, die hier draußen lebt, die Gegend erinnert mich an Tenders Bar von R.J. Moehringer.

Später kommen die Backsteinhäuser, und plötzlich am Horizont die ersten Wolkenkratzer, die sich nach wenigen Sekunden zu der weltberühmten Skyline vervollständigen, neben der die paar Frankfurter Hochbauten, augenblicklich von der stets vergleichenden Erinnerung heraufbeschworen, sich ausnehmen wie eine Kinderversion. Liegt es an den Grundstückpreisen oder sind die New Yorker einfach begeistert davon, in luftige Höhen zu bauen? Die Symbolik liegt auf der Hand, unmöglich, sich ihr zu entziehen! Der Anblick Manhattans raubt dem Erstbesucher – mir – den Atem. Was vor Selbstvertrauen und Machtdemonstration nur so strotzt, erscheint zugleich sinnvoll, überzeugend und absolut schön.

Wir fahren über die Queensboro-Bridge, bis wir in der 61. Straße halten. Einchecken im Hotel The Pierre, das mir kurz mal Sprache verschlägt, doch inzwischen kenne ich PMs Schwäche für noble Absteigen. Entsprechend relaxed nimmt Theo die Sache und marschiert durch das in Messing gefasste Drehtürportal wie einer, der damit groß geworden ist.

In unserem Zimmer versinke ich in einem Prinzessin-auf-der-Erbse-Kingsize-Bett, doch wir haben einen Plan und wollen gleich los und keinesfalls dem Jetlag nachgeben. Da das Hotel megagünstig liegt, machen wir uns zu Fuß auf den Weg. Ich liebe es, mir neue Orte laufend zu erobern, nur so kriegst du den Herzschlag einer Stadt wirklich mit.

Der Central Park ist voller Familien, die Sonne und Natur genießen. Das ganze Rechteck gesäumt von bauhausmässigen alten und amazing neuen, selbstverständlich noch viel höheren Hochhäusern, die harmonisch ineinander geschmiegt dastehen, als hätte eines das andere geboren. Manhattans Straßennetz ist mit dem Lineal gezogen, längs und quer und alles in rechten Winkeln aufeinander zu wie ein Schottenkaro der etwas schlichteren Art. Die prachtvolle Fifth Ave mit ihren High Class Juwelieren von Tiffany & Co über Bulgari zu Piaget und sämtlichen Modelabels der Welt von Chanel, Gucci, Prada, MiuMiu, Alaia, Vuitton bis Victoria Secret und Banana Republic teilt den Stadtteil in East und West. Die beiden letzten Stores speichere ich zwecks späterem Besuch im Gedächtnis ab und widme mich wieder den Straßenschluchten und den vielen, zwischen die Konsumtempel reingequetschten Kirchen aller möglichen evangelikalen Glaubensrichtungen.

Shoppen und Beten.

Angesichts der zahlreichen Signatur-Monumentalbauten möchte ich dauernd “kenn ich!, kenn ich!” ausrufen, befürchte aber, mich als Serienjunkie von Die Nanny (Fran Drescher Unforgettable) oder Sex and The City zu outen. Rätselhaft die archaisch anmutenden Wasserspeicher auf den Hochhausdächern, auch auf denen der ganz neuen Häuser. Wir beschließen, das umgehend am Abend zu googeln, und bewundern die Dachgärten, überhaupt immer wieder die geordnete Architektur und schließlich die Central Station, schön und feierlich wie eine Kirche.

Von dort steigen wir in die weniger schöne, sogar ziemlich verrottete Subway runter, nachdem wir es mit Hilfe einer freundlichen Lady geschafft haben, das richtige Ticket zu ziehen, und fahren bis zur Südspitze, um von Weitem übers Meer der Freiheitsstatue das Peacezeichen zu machen. Keiner von uns hat Lust, rauszufahren. Hier unten sind die feinen Läden Buden und fahrbaren Imbisswagen gewichen, die nicht wirklich vertrauenserweckend aussehen. NY hat viele Gesichter. Aber überall sind Parks zum Hinsetzen und sich Ausruhen, Bäume, Blumenrabatten und Wasserspiele.

Am Broadway 26 befindet sich die Filmakademie New York, vor allem aber der Bronzebulle  mit seiner von tätschelnden Touristenhänden blank polierten Schnauze und das Furchtlose Mädchen, ebenfalls aus Bronze. Erst seit 2017 setzt es mit seinem kessen Blick der männlichen Allmacht des Stiers weibliches Selbstbewusstsein entgegen.

Ground Zero dann. Wie die Fußabdrücke der Twintowers kommen die zwei Becken daher, in die das stetig fließende Wasser von allen vier Seiten in die Tiefe stürzt, sich dort sammelt und von einem bedrohlich dunklen Loch verschluckt wird. Gesäumt sind die Becken jeweils von einem Bronzerahmen mit den Namen aller Toten. Das Mahnmahl, diese vielen eingefrästen Namen, lassen dich still werden. Sie fassen dich so unmittelbar an, dass danach nichts mehr drin ist. Manche Namen sind mit einer Rose geschmückt. Die Leute, die ins Wasser schauen, sind nachdenklich. Wahrscheinlich ist da keiner, dem nicht jene Bilder durch den Kopf gehen, die damals das normale Nachrichtenprogramm und alles bis dahin Vorstellbare sprengten.

Es ist auch schon spät. Wir essen unweit vom Hotel in einem kleinen, französischen Restaurant und fallen danach in unsere Betten. Dieser Sonntag hatte sieben Stunden mehr als jeder andere Tag! Wir haben die Zeit gut genutzt, aber irgendwann ist Schluss und irgendwann wollen die Eindrücke auch verarbeitet werden.