Donnerstag. Es war die Idee der Fahrstuhlführerin (Elevator Girl?). Mit ihr, einer eleganten Schwarzen mit Glitzerbrille, Glitzerohrringen und figurnahen Kleidern in konsequentem Schwarzweiß, habe ich vom ersten Tag an Freundschaft geschlossen. Sie überhört mein holpriges Englisch, sie sagt mir, wo ich den Frühmorgenkaffee umsonst bekomme (steht auf einem Buffet vor dem Frühstücksraum), sie drückt mich an ihren üppigen Busen, wenn Gefühle sie übermannen, sie gibt mir den entscheidenden Tipp, als ich von ihr wissen möchte, wie eigentlich der Blick von ganz oben ist.
Ganz oben ist eine Privatwohnung, sagt sie. Aber fragen Sie an der Rezeption nach Etage 39! Die Presidential-Suite ist noch nicht belegt.
Presidential-Suite? An der Rezeption bekomme ich tatsächlich nach einem intensiven Blick-Check den Schlüssel ausgehändigt. Man will lediglich wissen, ob ich Gast des Hauses sei. Mit dem Schlüssel in der Hand hole ich PM und Theo ab. Wenn es schon mit dem Empire State Building nicht geklappt hat, dann soll uns diese Sicht auf Manhattan entschädigen.
Der Fahrstuhl schießt in Schallgeschwindigkeit nach oben. Die Tür zur Suite steht weit offen, den Schlüssel hätten wir gar nicht gebraucht. Das erste, was zu sehen ist, ist ein Trupp Afrikaner und Chinesen, die mit Staubtüchern Spiegelwände und Tischoberflächen wienern. Unsere Blicke huschen von rechts nach links, angesichts der prunkvollen Räume vergessen wir erstmal die Höhensicht. Mitten im Raum steht ein Mann, schön wie ein Außerirdischer, ohne Alter – David Bowies Sohn? – der die Sache hier zu kontrollieren scheint. Sowie ich zu einer Erklärung ansetze, was wir hier oben zu suchen haben, antwortet er in perfektem Deutsch. Kein Wunder – er ist Kölner und ist der Hotelmanager. Wir scheinen willkommen zu sein. Vielleicht spricht er gerne mal wieder in seiner Muttersprache. Jedenfalls hat er nichts dagegen, dass wir uns ein bisschen umtun. Er führt uns von Fenster zu Fenster und zeigt mit ausgestrecktem Finger, wo sich ein Foto lohnt und welcher Promi in welchem Skyscraper wohnt.
Und Woody Allen?, frage ich. Er sieht mich erstaunt an: Finden Sie den gut? Klar, sage ich, und kann seinen langen Blick erst nicht deuten. Also, nicht als Mann, schiebe ich nach, aber seine Filme …. Natürlich meint er die Missbrauchsgerüchte, fällt mir im gleichen Moment ein. Ich habe sie nie geglaubt und wohl deshalb vergessen.
Woody kommt jeden Morgen an meinem Haus vorbei, wenn er seine Kinder zur Schule bringt. Er lächelt und freut sich an meiner Sprachlosigkeit.
Übrigens 30.000 Dollar kostet die Suite, in der wir gerade rumstehen. Pro Tag. Heute Abend zieht eine deutsche Familie ein.
Wir erfahren, dass für die Wohnung in dem spargellangen Legohaus gegenüber, das gerade im Entstehen ist, 40 Millionen Dollar zu berappen sind. Oups! Das ist doch etwas mehr, als wir gedacht hätten. In Manhattan, meint er, wohnen die reichsten Menschen der Welt. Auch er habe den Bezug zum Geld verloren. Wenn du hier lebst, verdienst du so viel, dass du ganz oben mitspielst. Er sagt das sachlich, ohne Angeberei. Er liebt seinen Job. Das sagt er nicht, man spürt es. Die Feste, die im Hotel gefeiert werden, kosten gerne mal zwei, drei Millionen, allein für den Blumenschmuck der letzten Hochzeit habe er 800.000 Dollar Budget gehabt. Und am Abend kam dann alles auf den Müll! Das macht selbst ihn fertig.
Obama, Trump, sie alle hatten hier schon ihren Empfang. Von Melania ist er begeistert, von Trump selber hält er nichts, hat aber eine Erklärung parat. Im mittleren Westen sei die Armut so drückend und zugleich so unüberwindbar, dass Trump der Hoffnungsträger sei: Er hat ja vieles versprochen und wird natürlich nichts davon umsetzen, deutet er resigniert die Indizien.
44 % der New Yorker leben unterhalb der Armutsgrenze. Die Mieten, die Eintrittskarten, das Bier, alles wahnwitzig teuer. Das Leben sei ein täglicher Kampf. Dieser Satz fällt mehrmals, als hätte selbst er mit seinem hochdotierten Job in der Angst einen gelegentlichen Begleiter.
Als er merkt, dass es mich interessiert, zählt er auf, welche Filme hier im Hotel gedreht wurden, und ich versuche sie mir zu merken, um später bei den entsprechenden Szenen den Aha-Effekt auszukosten.
Mittags treffe ich den freundlichen Typen noch einmal. Er zeigt mir den Ballsaal, der so groß ist, dass die drei, vier Flügel darin wie Spielzeuginstrumente aussehen. Wie der Saal, so ist auch das rondellförmige Restaurant dem imposant barocken Baustil des Sonnenkönigs, sprich: dem Versailler Schloss, nachempfunden. Die Wandfresken schmücken das Konterfei von Jacki Onassis und noch ein paar anderen Celebrities, deren Namen ich vergessen habe. Nächste Woche quartiert sich ein Regisseur im Hotel ein, weil er seinen nächsten Spielfilm auch wieder hier drehen will. Ob ich den Namen an dieser Stelle verrate -, nein, lieber nicht, das war wohl doch eher vertraulich.
Eine Stunde später geht das Taxi zum Flughafen. Mein Koffer ist ein bisschen schwerer als bei der Herfahrt, dank Banana Republik und seinem wunderbaren Sortiment (How nice! Beautiful! Gorgeous! Die Verkäuferinnen tragen alle Headsets und sind nicht von dieser Welt). Vier Stunden später sitzen wir im Flieger nach Frankfurt, wo wir sieben Stunden später landen und noch drei weitere brauchen, bis wir wieder in B.N. sind. Da ist es 16 Uhr, nach New Yorker Zeit erst neun Uhr morgens.