Die Ironie des Lebens

Freitag. Abgesehen von der erstaunlichen Tatsache, dass Eisenach sich ein Cineplex-Kino mit fünf Sälen und feinster Ausstattung leistet, die wirklich keine Wünsche offenlässt (Liegesitze, Cocktails …), gibt es da die Arthouse-Reihe, in der gestern Abend ein ganz und gar erstaunlicher Film angelaufen ist: Die Ironie des Lebens, eine deutsche Produktion von Markus Goller und Oliver Ziegenbalg mit Uwe Ochsenknecht und Corinna Harfouch in den Hauptrollen. Mit dem wunderbaren Uwe Ochsenknecht und der wunderbaren Corinna Harfouch. Ein leiser Film, als Tragikomödie ausgezeichnet, und tatsächlich gibt es Momente, in denen mir der Hals eng geworden ist, und solche,  die dich spontan rauslachen lassen.
Es geht um persönliches Versagen, um Schuld, Erfolg, Familie und ja, Tod. Das ist nicht gespoilert, gleich am Anfang erfahren wir, dass die Exfrau (C. Harfouch) des gefeierten Comidians (U. Ochsenknecht) an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt ist.
Immer an der Kitschgrenze vorbei, hin zu echter Tiefenschärfe.
Mit einem großartigen Ende.
Die Gesichter der beiden tollen Schauspier*innen in Großaufnahme, nur durch Mimik ihre sich wandelnden Emotionen hervorkehrend, diese Bilder lassen einen nicht kalt. Mich jedenfalls nicht. Ein Film mit Nachwirkung.

Übrigens: Der Titelsong ist von Ochsenknecht und Harfouch. Die können auch singen!

Standort

Donnerstag. Der Hamas-Überfall auf Israel war ein Radikalisierungsbeschleuniger, der nicht nur dem Land Israel, sondern auch der Bevölkerung in Deutschland zu schaffen macht. Wer Augen und Ohren offenhält, kann nicht umhin festzustellen, dass seit dem 7. Oktober ’23 eine Enthemmung der islamistischen Szene stattgefunden hat.

Ihre Vertreter (in der Regel männlich) stellen sich viel vitaler und offen aggressiver dar als noch vor ein paar Monaten. So wird der Dreifachmord in Solingen von Sachverständigen als bisheriger Höhepunkt einer Entwicklung bewertet, die noch gar nicht absehbar sei. Darauf weist u.a. der gläubige Muslim und Islam-Experte Eren Güvercin am 28.08.24 bei Markus Lanz hin: Was in der deutschen Politik völlig fehle, sei eine kritische Auseinandersetzung mit dem Islamismus.

Die reflexartige Verteidigung der islamischen Verbände durch die deutsche Politik und deutschsprachigen Medien blende aus, dass der Staat zum Schutz der Bevölkerung – auch der in Deutschland lebenden muslimischen Bevölkerung – verpflichtet sei, sich mit der Ideologie und den Erscheinungsformen des Islamismus kritisch auseinanderzusetzen. Leider spreche dieser gezielt sehr junge, männliche Jugendliche an. Wo bleibt da die gesellschaftliche und politische Gegenwehr? Wo bleiben die glasklaren Stellungnahmen: So leben wir hier, und so wollen wir auch in Zukunft leben? Und wenn es “nur” ein Konzert von Taylor Swift ist, das Menschen besuchen können, ohne sich ihres Lebens bedroht zu fühlen. Besonders die SPD sei nicht wirklich offen für diese Debatte, so Güverzin. Beispiel: Warum sonst sei erst vor vier Wochen das längst überfällige Verbot gegenüber dem IZH / Islamisches Zentrum Hamburg ausgesprochen worden?

Auf der anderen Seite vermisst Güverzin aber auch eine klare Abgrenzung der muslimischen Verbände von islamistischen Ideologien. Im Gegenteil haben sie sogar sehr viele Berührungspunkte mit den radikalen Strömungen des Islam. Der IS habe tausende jesidische Frauen versklavt, auf der Grundlage des Koran. Dagegen müssten sich muslimische Verbände wehren und den islamistischen Narrativen ein positives Narrativ entgegensetzen. Ansonsten seien die Jungen der Propaganda von religiösen Extremisten auf Tiktok u.ä. wehrlos ausgesetzt, die sich in den sozialen Medien geradezu als Popstars gerierten. Der sog. Zentralrat der Muslime, der überhaupt nur 3 % der Muslime repräsentiert (der Name ein PR-Gag), da viele Verbände inzwischen ausgetreten sind, werde von der Politik nach wie vor hofiert. Daher seine öffentliche Wirksamkeit, seine mediale Präsenz, obwohl sich unter diesem Dachverband u.a. die religiös-politische türkische Organisation Milli Görüs aufhält, die anerkanntermaßen im Islamismus verortet ist.  Wie auch andere Organisationen mit Bezügen zur Muslimbruderschaft und zum Teheraner Regime, z.B. die von der türkischen Religionsbehörde finanzierte und repräsentierte DITIB, deren Vertreter*innen die Hamas offen als Befreiungsorganisation feiern. Muslimische Verbände, die beanspruchen, für eine breite muslimische Gemeinde zu sprechen, müssten aber ihre gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und sich eindeutig gegen islamistische Bestrebungen abgrenzen. 

Mit Abschiebungen sei das Problem des Islamismus überhaupt nicht gelöst. Wer eine Brandmauer gegen Rechts zieht, der müsse sich auch gegen türkischen Rechtextremismus und islamistische Propaganda positionieren. 

Danke, Eren Güvercin!

 

Unbeirrbarer Frieden

Dienstag. Vielleicht sollte ich weniger hinterfragen, warum die Bedingungen so und so sind, warum die oder der so handelt und nicht anders, warum ich hier und nicht an einem ganz anderen Ort bin. Vielleicht sollte ich genau an diesem merkwürdigen Ort einfach meinen Unterricht abhalten, mein Wissen, so gut ich es kann, weitergeben und mich bemühen, geduldig, friedlich und freundlich zu bleiben. Anstatt mich gegen die Standards aufzulehnen, was sowieso nichts bringt. Vielleicht sollte mir das genügen: Arbeiten und Gutes tun, jeden Tag aufs Neue. Wie es die buddhistischen Meister lehren: Gehe hin, tu deine Arbeit. Das wäre ja auch eine Art von Widerstand. 

Kleine Welt

Alte Mälzerei Eisenach: Ulrich Grober liest aus seinem neuen Buch Die Sprache der Zuversicht und wird begleitet von dem tollen Jazztrio Americana mit Felix Eckenfelder (Drums) / Nicolas Buvat (Bass) / Sebastian Minet (Gitarre). Wie sie auf der Bühne erzählen, führt ihre musikalische Spur nach Stuttgart und nach Tübingen. Wie klein ist doch …

Und wieder IS

Sonntag. Amaq, der Nachrichtenkanal der Terror-Organisation Islamischer Staat, erklärt heute: „Der Angreifer auf die christliche Versammlung in der Stadt Solingen in Deutschland gestern war ein Soldat des Islamischen Staates.“
Der Täter wurde in der städtischen Asylunterkunft gefasst. Drei Tote und acht Schwerverletzte gehen auf sein Konto. Solingen feiert in diesen Tagen das 650-Jahre-Stadtfest unter dem Motto: Ein Festival der Vielfalt. Weitere Feste in den Nachbarstädten wurden abgesagt, so auch in Hilden das Fest der Kulturen.
Die beiden direkt angegriffenen christlichen Kirchen schweigen. Die Politik ist erschüttert und betroffen. Steinmeier fordert das Ende von Gewalt und Hass (von wem?). Faeser will jetzt nur noch Messer mit 6 cm Klingenlänge zulassen.
Die AfD triumphiert.

Liebe, oder c‘est la vie

Samstag. Der selbstverliebte Blick in den Spiegel, hervorgerufen durch irgendeinen sensationellen Fummel aus irgendeiner sensationellen Boutique, ist selten geworden. Mir steht nicht mehr alles. Das erleichtert die Qual der Wahl – suche das Gute im Schlechten – und es ist gleichzeitig traurig. Na ja, nicht wirklich traurig. C’ est la vie, so irgendwie.
Wenn ich mir meine liebe L. anschaue und wie viel toller alles an ihr aussieht, freue ich mich an ihrer Schönheit. Ob sie es weiß? Wenn ich es ihr sage, guckt sie genervt. Sie interessiert sich nicht für Mode und für Äußerlichkeiten. Sie setzt in die Praxis um, wovon ich / wir in einem anderen Äon phantasiert & theoretisiert haben. Sie ist ein Teil von mir. Genau wie mein lieber T. Niemand wird mich je so stark berühren wie meine starken, klugen, mutigen Kinder. Denke ich an sie, zieht sich mein Herz zusammen. Aus Sorge und aus Liebe. 

Optionen

Freitag, Köln. Spontan für 2 Tage nach Köln gedüst. L. hat Geburtstag. Superfreundliche Aufnahme in ihrer WG. Bei allem, was gewöhnungsbedürftig ist (alles Essen ist containert), finde ich ihre Art zu leben und zusammenzuleben großartig. Hätte ich mir auch gewünscht, hab ja immer von einer Fortgeschrittenen-WG geträumt. Sobald es Leute gab, die mitgemacht hätten, ist es aber am Ort gescheitert. Am gleichen Ort 4-5 Gleichgesinnte zu versammeln, ist mir leider nicht gelungen. Es müssten ja auch total flexible Leute sein, was in unserem Alter schwierig ist. Das bewundere ich am meisten: wie cool und gelassen die Mitbewohner*innen hier bleiben, auch wenn etwas anders läuft als geplant. Bringen sich sofort auf eine andere Spur, sind nicht sauer oder eingeschnappt. Optionen statt Standards. Kriegen wir hin!, höre ich immer wieder. Eine Haltung, die gut tut.

Lohn

Mittwoch. Das ist die Belohnung für drei Jahre Arbeit: Nach intensiver Verlagsakquise kommen erste schöne Rückmeldungen. Sie machen mir Mut und geben mir die Zuversicht, dass es auch ein schönes Buch werden wird.

Noch steht ein Interview aus, doch das ist eine Sache von wenigen Tagen.

Und ich spüre schon den Schmerz des Loslassens, der sich gegen Ende immer einstellt. Eine Aufgabe, die mich so lange beansprucht, beschäftigt, begleitet hat, geht ihrem Finale entgegen. Danach habe ich keinen Einfluss mehr. Dann gehört es allen.

Wiedersehen

Sonntag, Tübingen. Steve und seine Mutter zu Besuch in Tübingen. Gemeinsames Luxusfrühstück im Hotel Krone, Stadtbummel, abends im Alten Fritz in großer Runde mit T. und E., später Kneipen-Hopping MarktschenkeTangente Jour. Als Steve im Sommer 2014 bei mir einzog, war er im 1. Semester, jetzt macht er seinen Facharzt. Ein bisschen Nostalgie, viele gemeinsame Erinnerungen.  Heftige Debatte zw. Steve und PM über das von Lauterbach geplante Krankenhaussterben, das die beiden schon hautnah und ganz massiv in ihrem Arbeitsalltag zu spüren bekommen. Noch viel mehr trifft es aber die Patient*innen.
PM: Bessere Versorgung hieße mehr Empathie, mehr Personal, mehr Geld. Und das ist nicht da.
Übersetzt: Am besten nicht krank, nicht schwanger, nicht alt werden.
Ich freue mich auf ein Wiedersehen in Eisenach.