Rose Ausländer – “Die Vergangenheit / hat mich gedichtet”

Samstag. Es waren Rose Ausländer im Besonderen und die Beschäftigung mit der deutschen Exillyrik im Allgemeinen, die mir die Tür zur Welt der Lyrik geöffnet haben.
Ausländers Sprache ist einfach und gewaltig. Man wird süchtig danach, und ihre mit Sprache gezeichneten Bilder wird man nie mehr los. Wieviel Arbeit hinter der Reduktion steht, kann man spüren, wenn man sich dem Sog ihrer Gedichte hingibt. Ihre Wirkung ist geradezu körperlich.
Es ist das Versinken in einer vollkommen fremden und dennoch vertrauten Anrede.
Ausländer verzichtet auf Effekte. Aber mit hintergründiger Spontanität kombiniert sie scheinbar einander ausschließende Wörter/Assoziationen, um dieses Gefühl von Verblüffung und luftiger Leichtigkeit zu hinterlassen.
Und eines Erkennens des eigenen Selbst.
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Anbei der erhellende Blogbeitrag aus der “Freitag”-Community: Mein Atem heißt jetzt Rose Ausländer. Vor 50 Jahren erschien der Gedichtband Blinder Sommer. Ein Blog-Beitrag von Freitag-Community-Mitglied doimlinque

Liebhaber von Lyrik stellen in der Regel die überschaubare Minderheit. Im Jahr 1965 veröffentlichte der kleine Wiener Bergland-Verlag einen Gedichtband von Rose Ausländer, die Auflage betrug 500 Stück und war noch Ende der 1970er Jahre nicht vergriffen.

Blinder Sommer war erst das zweite Versbündel, für das Rose Ausländer einen Verleger fand und das erste nach dem 2. Weltkrieg und der Shoa.

Nach dem Krieg hatte Rose Ausländer zunächst ausschließlich auf Englisch gedichtet, 1946 war sie zum zweieinhalbsten Mal in die USA emigriert. (Das erste Mal 1921, gemeinsam mit ihrem späteren Mann Ignaz Ausländer, dann fluchthaft für einige wenige Wochen 1939, bevor sie umkehrt und zu ihrer kranken Mutter in die Bukowina eilt – sehenden Auges zurück nach Europa, das kurz darauf von den Nazis mit Gewalt überzogen wird.) Erst nach einem Treffen mit dem alten Freund Paul Celan in Paris im Jahr 1957 findet sie wieder zur Sprache ihrer Kindheit zurück.

Geboren wird Rosalie Beatrice Ruth Scherzer 1901 in Czernowitz, das als Hauptstadt der Bukowina damals zur Habsburgermonarchie gehört. Ein Ort im Grenzgebiet, mal Teil des Fürstentums Moldau, mal des russischen Zarenreiches, es gibt osmanische, rumänische, polnische, deutsche sowie ukrainische Einflüsse. Und eine große jüdische Gemeinde. Ein Wirrwarr von Stimmen und Kulturen: Am Rande von allem ist Czernowitz das Epizentrum eines ganz eigenen europäischen Lebensentwurfs.

Der Vater entstammte einer streng chassidischen Familie (“Am Hof des Wunderrabbi von Sadagora/lernte der Vater die schwierigen Geheimnisse”). Anklänge an den religiösen Mystizismus finden sich bis zuletzt in Rose Ausländers Gedichten, bleiben aber ganz undogmatisch und sozusagen unorthodox. Inniger ist die Beziehung zur Mutter, die immer wieder in ihren Texten auftaucht: “Mein Stern hängt/an ihrer Nabelschnur”.

Vor der näher rückenden Front des 1. Weltkrieges flieht die Familie 1915 nach Budapest, dann nach Wien, wo die Tochter ihre Matura ablegt. Wieder in Czernowitz beginnt sie ein Studium der klassisch brotlosen Künste: Philosophie und Literaturwissenschaft. Als der Vater stirbt, kann sie sich das nicht mehr leisten, die Familie verarmt. Es ist die Mutter, die sie schließlich zur Ausreise in die Neue Welt drängt. 1923 Hochzeit, 1926 Trennung, 1930 Scheidung: “Ich langweilte mich in der Ehe. Man kann nicht mit der Langeweile leben”, sagt sie später ebenso lapidar wie unzeitgemäß. Die ersten Gedichte waren da bereits veröffentlicht, in deutschsprachigen Anthologien und Zeitungen in Minneapolis und New York.

Es geht zurück nach Europa, erst nach Bukarest, später wieder zur Mutter nach Czernowitz. 1939 wird hier ihr erster Gedichtband erscheinen, Der Regenbogen. Strenge metrische Formen, Endreime, hoher Ton der Spätromantik – nichts für mich, alles in allem. Als im darauffolgenden Jahr zunächst die Rote Armee die Bukowina einnimmt, wird Rose Ausländer als vermeintliche US-Spionin verhaftet und verbringt vier Monate im Gefängnis. Nach den Sowjets kommen die mit Hitler verbündeten Rumänen, zuletzt die SS. Die 60.000 jüdischen Einwohner von Czernowitz werden in einem Ghetto zusammengepfercht. Später kommen die Deportationen. Mit ihrer Mutter, dem Bruder und der Schwägerin zieht Rose Ausländer von einem Kellerversteck ins nächste. Sie lernt Paul Celan kennen, der damals noch Paul Antschel heißt. Die schwarze Milch aus dessen “Todesfuge” findet sich bereits in ihrem Gedicht “Ins Leben” aus dem Regenbogen. Sie lesen einander Gedichte vor, sie überleben.

Tagebücher, Essays, Briefe, Gedichte, die Restauflage des Regenbogen – alles nimmt der Krieg. Dann kommt wieder New York. Sie wird Fremdsprachenkorrespondentin und Übersetzerin. Die USA bleiben mehr Exil, werden ihr keine zweite Heimat. Das Wiederentdecken der deutschen Sprache ab Mitte der 1950er Jahre ist auch so etwas wie der Versuch, Wurzeln zu schlagen:

Mutterland

Mein Vaterland ist tot
sie haben es begraben
im Feuer

Ich lebe in meinem Mutterland
Wort
Die Dichterin dichtet nun anders als zuvor. Jedes Wort ist auch Reflexion über das Deutsche, das immerhin auch die Sprache der Mörder ist. “Was später über uns hereinbrach”, erinnert sie sich in dem Essay Alles kann Motiv sein, “war ungereimt, so alpdruckhaft beklemmend, daß – erst in der Nachwirkung, im nachträglich voll erlittenen Schock – der Reim in die Brüche ging. Blumenworte welkten. Auch viele Eigenschaftswörter waren fragwürdig geworden in einer mechanisierten Welt, die dem ‚Mann ohne Eigenschaften‘, dem entpersönlichten Menschen gehörte. Das alte Vokabular mußte ausgewechselt werden. Die Sterne – ich konnte sie aus meiner Nachkriegslyrik nicht entfernen – erschienen in anderer Konstellation.”

Auf der einen Seite finden sich in Blinder SommerGedichte, die an die klassische Moderne der US-amerikanischen Lyrik anschließen. Brodelnde Metropole, Jazz mit Farbtupfern, das Eintauchen und Untergehen in der Masse. (Das Titelblatt meiner Ausgabe von 1987 ziert ein Foto der Fassaden New Yorker Stadthäuser mit den charakteristischen Feuerleitern vor den Fenstern. Der Klappentext wirbt mit dem Gedicht “Würfel”: “Mondrianspiel/Manhattans Würfel/nicht rot nicht gelb/grau fallen sie ins Auge//…”) Sie stehen formal (inhaltlich sowieso) e.e. cummings, Langston Hughes oder Marianne Moore näher als den Expressionisten mit ihrer ersten Welle deutscher Großstadtlyrik, den Heyms und Lichtensteins etwa. Es ist ein Pfad, den Rose Ausländer später nicht weitergegangen ist. Was schade ist, einerseits, man findet derlei nicht oft in der deutschsprachigen Poesie. Andererseits sind es die Gedichte aus dem hinteren Drittel des Bandes – aus dem Das Dorf Duminikaüberschriebenen Abschnitt – in denen Rose Ausländer zum ersten Mal zu der ihr ureigenen Stimme zu finden scheint und die einen viel direkteren Weg ins Gemüt des Lesers gehen.

Es sind Eindrücke aus der Bukowina, Gedankensplitter über die Landschaft und ihre Bewohner, durchwebt mit Erinnerungen an die Eltern und die eigene Kindheit. (“Da zirpten die Kiesel im Pruth/ritzten flüchtige Muster in/unsre Sohlen”) Und es sind Gedichte über den Untergang dieser Welt, über den Krieg, das Ghetto, die fast vollständige Vernichtung der Juden und ihrer Kultur. Elliptisch, gebrochen in Kurzzeilen – Einwortzeilen gelegentlich. Epigrammatisch gestaucht, getragen von einzelnen, eindrücklichen Bildern, dabei immer rhythmisch durchgetaktet. “Mach leicht meine Landschaft/sie liegt mir/als Höcker auf dem Rücken”.

Acht der insgesamt dreiundneunzig Gedichte sind überarbeitete Fassungen von Versen, die während der Besatzung in den Kellerverstecken entstanden waren. So auch das Titelgedicht, das dem gesamten Bündel voransteht. Es sind die Worte von jemandem, die sich die Greuel auch dadurch vom Leib hält, indem sie darüber schreibt, sie in Verse bannt. “Es ist ein Aschensommer in der Welt”, heißt es hier, ein späterer Gedichtband wird dann den Namen Aschensommer tragen. Das Licht der sommerlichen Sonnenstrahlen wird verdunkelt von den Rauchsäulen aus den Krematorien der Konzentrationslager. Es ist eines von jenen Motiven, die stets wiederkehren in ihren Versen, in leicht veränderter Perspektive allumfassend ausgeleuchtet werden.

Und überhaupt: Mitunter liest man, Rose Ausländers Poesie wirke naiv und sei wie im Augenblick hingeworfen. Vereinzelt soll das wohl ein Kompliment sein, in der Regel kommt es aber despektierlich daher, so als würde hier eigentlich keine wirkliche Dichtkunst verhandelt werden sondern Gelegenheitshandwerk. Weiblich irgendwie, ohne das Vermögen, den Blick auf das abstrakte Große und Ganze zu weiten. Derlei ist freilich Humbug. Ewig und drei Tage doktert die Dichterin an den endgültigen Fassungen ihrer Werke herum, streicht, fügt hinzu, schreibt um, reflektiert das eigene Schaffen in langen poetologischen Essays. Der Blick auf das Wesentliche ist harte Arbeit, es sieht nur eben das Resultat nicht immer so aus wie Schillers “Lied von der Glocke”.

 

Schweigen

“Schweigen”. Entnommen einem Newsletter der Rose Ausländer-Stiftung und des  Freundeskreises Rose Ausländer e.V.

 

Schon 1964 war Rose Ausländer endgültig wieder nach Europa zurückgekehrt, nach Wien zunächst, ab dem Jahr darauf nach Düsseldorf. Nach einigen Jahren des Reisens zieht sie 1972 in das Nelly-Sachs-Haus, das Altenheim der Düsseldorfer jüdischen Gemeinde. 1975 dann wird sie “entdeckt”: Der Verleger Helmut Braun stößt auf ihre Gedichte, ist hin und weg, besucht sie in Düsseldorf und bringt fortan ihre Kunst unters Volk. Brauns Engagement für ihre Lyrik kann kaum überschätzt werden, ohne sein Zutun wäre etwa ein Band wie Blinder Sommer niemals je wieder aufgelegt worden.

Rose Ausländer verlässt in den letzten Jahren ihr Zimmer nicht mehr, ist – wie man so sagt – ans Bett gefesselt. (Mir kommt der totkranke Düsseldorfer Heinrich Heine in seiner “Matratzengruft” in Paris in den Sinn, auch Rose Ausländer hat seiner gedacht: “Er war ein Lied/seines Landes//jener Hexe/mit goldenem Haar//die sein Vaterlandswort/verwandelte/in einen Fluch”) Mehr noch als früher werden die Gedichte inwendig, der Blick richtet sich zugleich einwärts und zurück. “Traumpoesie” nennt das der Dichter und Kritiker Paul Konrad Kurz. Die Sprache bleibt ihre Freistatt; sie dichtet und dichtet und dichtet, beinahe jedes Jahr erscheint mindestens ein neuer Band: “Schreib/es bleibt dir/nichts übrig.” Am 3. Januar 1988 stirbt Rose Ausländer schließlich im Alter von 86 Jahren. Ein wenig von dem Ruhm, der ihren Gedichten mittlerweile zuteilwird, hat sie noch erlebt, die Ausgabe ihrer Gesammelten Werke begann bereits 1984.

Heute vergeht kaum eine Woche, in der ich nicht wenigstens ein Gedicht von Rose Ausländer lese.

 

Liebhaber von Lyrik stellen in der Regel die überschaubare Minderheit. Wo im 21. Jahrhundert überhaupt noch spärliche Regalbrettfläche in den Buchhandlungen für Gedichtsammlungen freigehalten wird, ist einer der wenigen, wenigen zu findenden Namen der von Rose Ausländer. Immerhin etwas. Darauf noch eines ihrer späten und zugleich schönsten Gedichte:

 

Mein Atem

In meinen Tiefträumen
weint die Erde
Blut

Sterne
lächeln in meine Augen

Kommen Menschen
mit vielfarbenen Fragen
Geht zu Sokrates
antworte ich

Die Vergangenheit
hat mich gedichtet
ich habe die Zukunft geerbt

Mein Atem heißt
jetzt

 

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

 

Noch bist du da
Wirf deine Angst
in die Luft

Bald
ist deine Zeit um
bald
wächst der Himmel
unter dem Gras
fallen deine Träume
ins Nirgends

Noch
duftet die Nelke
singt die Drossel
noch darfst du lieben
Worte verschenken
noch bist du da

Sei was du bist
Gib was du hast

Noch bist du da

(aus: R. A. Ich höre das Herz des Oleanders. Gedichte 1977 – 1979)