Montag. Auf den Bahnsteigen von Mainz ziehen verkleidete Truppen – Prinzengarden, Monster, Kinderfeen – an unbeteiligt vor sich hin starrenden Reisenden vorbei. Die einen sind im Feier- , die anderen im Arbeits- oder Urlaubsmodus. Läuft so parallel – stehen zwei nebeneinander, sagt der mit der roten Pappnase: ich feiere gerade. Sagt der andere: Ich nicht.
Auch in den Regionalzügen sitzen verkleidete Fahrgäste. Sie haben bunte Perücken auf, tragen Raketen oder Besen oder Leitern auf dem Rücken und fahren als Astronaut oder Putzfrau oder Schornsteinfeger von A nach B. Alles ganz peacefull. Die Polizei von NRW hat die Asylanten aufgefordert, sich von Umzügen fern zu halten. In Köln gibt es eine extra Ini für Asylanten, die mitfeiern wollen. Auch ganz peacefull.
Im Intercity, der mich nach B.N. bringt, schreit ein Baby. Wir sind jetzt in Bingen. Das dauert jetzt nicht mehr lange. Es geht uns gut von Arno Geiger ist mein aktueller Leseinput. Sehr konstruierter Aufbau, sehr gestelzte, unlebendige Dialoge (“Aber was rede ich, familiäre Unambitioniertheit ist bei dir ja nichts Neues”, sagt die ca. 25-jährige Johanna). Ironische Brechungen von Realität und Fiktion, aber das alles ganz unwitzig, uncharmant. Ein Generationenroman, mal wieder…
Hängekopfliteratur. Ich bin auch schon ganz deprimiert von der verdammt realistischen Darstellung des dementen Alten und seiner Checker-Frau, der er seit fünfzig Jahren das Leben versalzt. So viel checkt sie auch wieder nicht. Resignationsmodus allover, keiner der Generationenstellvertreter und -vertreterinnen kriegt was auf die Kette. Trotzdem hält mich irgendwas an dem Buch, vielleicht ist es gerade seine Sprödigkeit. Seine unwitzige, uncharmante Nachvollziehbarkeit. Kunst als Eins-zu-Eins-Abziehbild, dafür die hochintellektuelle Konstruktion, die ich gerade bei Wikipedia gegoogelt habe.
Es geht uns gut ist einer dieser Romane, die dich definitiv nicht zum Weinen bringen. Zum Lachen sowieso nicht. Wir sind lakonisch drauf. Lakonisch, lakonischer, am lakonischsten. Die Kritiker waren seinerzeit begeistert. Leute haben ihn geschenkt bekommen und nicht alle haben ihn gelesen. Ich hab das Buch von einer Sammelstelle für Dinge, die nicht mehr gebraucht werden, mitgenommen. Ein ausgesetztes Buch. Es ist wie neu, nur die Anfangsseiten tragen Spuren. Da hat einer die Regeln nicht eingehalten: Die 50-Seiten-Chance für den Autor!
Ich lese das jetzt. Ganz! Ich bin Jonathan-Franzen-gestählt, was soll da noch kommen?
Eine Lautsprecherdurchsage: Wir müssen alle raus. Der Zug wird umgeleitet, auf die andere Seite des Rheins. Mehrere Stationen entfallen dadurch, meine auch. Notarzteinsatz auf dem Gleis – jeder weiß, was das bedeutet –
Ende der Feier.
Wird wohl später werden –