Samstag, B.N. “Ein Schulderleben, das sich aus Einfühlung ergibt, ein Gewissen, das einer Verinnerlichung äußerer Verbote zu sittlichen Gesetzen entspringt, das ist eine Erfahrung, die jenseits von Q.’s* Möglichkeiten liegt. Da unsere deutsche Kultur so ausdrücklich mit der Ausbeutung des Gehorsams in zahllosen Sozialbeziehungen arbeitet, ist es notwendig, sich an einem Beispiel wie Q. klarzumachen, in welche innere Hilflosigkeit ein Individuum manövriert wird, das nur Überwältigung durch Dressatgehorsam kennengelernt hat. Die Ansätze zur sadistischen Perversion und das larmoyante Unschuldsgebaren zeigen, wie hier die affektiven Sozialbeziehungen in den allerfrühesten Entwicklungsphasen endgültig geprägt wurden. So gehört auch Q.’s Unfähigkeit, um irgend etwas anderes zu trauern als um den Verlust seines eigenen Wohlergehens im Dritten Reich, in den größeren Kontext der Unfähigkeit zum Mitgefühl überhaupt.”
*Fallbeispiel aus der klinischen Praxis
aus: Alexander und Margarete Mitscherlich, Die Unfähigkeit zu trauern, S. 53