Scheißegal

Dienstag. Manchmal musst du total alleine sein, um zu sehen, wie es weitergehen soll. Ich laufe durch meine frisch renovierte, blitzblank geputzte Wohnung mit den blitzblank geputzten Fensterscheiben und höre mir die Fragen in meinem Kopf eine nach der anderen an. Ich habe keine Antworten. Ich war einkaufen und habe gekocht. Die einfachen Dinge, die sind so was von in Ordnung! Ich habe alle Zimmerbewerber*innen abgesagt. Ich mag niemanden mehr in der Wohnung haben. Im Moment jedenfalls nicht. All diese SMSse und WhatsApp-Nachrichten und E-Mails – plötzlich ist mir übel. Niemand von denen passt zu mir, jeder von denen weiß das. Was bleibt, ist dieses Geschleime, mit jeder Nachricht kotzt mich das mehr an. Überhaupt, will ich selbst in der Wohnung bleiben? In Tübingen? Ist Tübingen mir nicht schon lange wie ein eingelaufener Pullover geworden, zu eng, zu öde? Manchmal habe ich die Phantasie, alles hinzuwerfen, dann habe ich Angst vor mir selber. ‚Alles‘ ist zu radikal. Heute Nachmittag war eine da, die fand ich nett. Sie ist Chemikerin, hat ihren Job gekündigt und macht jetzt eine Ausbildung zur Kirchenmusikerin. Wir haben uns auf Anhieb gemocht. Das ist ganz schön viel. Sie will im August einziehen, vielleicht. ‚Vielleicht‘ ist okay. Da kann ich noch nachdenken. Ich habe heute Abend gekocht und mit meinem Sohn gegessen, da weiß ich (wieder), was gut ist. Was bleiben soll. Er hat mir von seinem schwierigen Job erzählt. Von J., die gerade in den dritten Zyklus ihrer Chemotherapie gestartet ist und zuversichtlich in die Zukunft sieht. Das ist so großartig, dass ich die Augen aufreiße, um nicht zu heulen. Ich habe heute viel gearbeitet, konstruktive Besprechungen gehabt und Bestätigung, die mir runtergegangen ist wie Öl. Okay, klar, das auch, und trotzdem. Da ist dieser Handysound, und dann kommt eine Nachricht rein, eine verspätete Verlagszusage (die fünfte!), diese andere Art von Bestätigung: Das kann ich auch, da könnte ich viel mehr machen, wenn ich mich mehr trauen würde … Wenn ich verwegener wäre … Ich denke an meine fristlose Kündigung, die ich einmal eingereicht habe, vor Jahren, zack!, Haare zurückgeworfen und durch! Na und? Leute sind sauer auf mich gewesen, aber mir war das scheißegal. Es stimmte einfach. Dieses Gefühl, von einer Sekunde auf die andere zu WISSEN, was richtig ist: Der unvernünftige Weg, und trotzdem bist du ganz bei dir. That’s it. Das ist großartig. Da will ich hin. Vielleicht. Vielleicht.

(Dr. K. fehlt mir)