Schuster, bleib …

Dienstag. Vergangenen Do, als der Artikel über unsere Lesung rauskam, war ich happy. So gut war er! Und so euphorisch. Gekrönt von einem Foto aller Teilnehmer*innen, wie sie da auf dem Sofa hocken, alle Blicke auf den einen gerichtet, der gerade seinen Text liest.

Der vierspaltige Artikel mit dem Bild war so groß, dass keiner ihn übersehen konnte. Aber keiner hat ihn gelesen. Keiner sagt was. Die Besprechung, die Lesung, die Vorarbeit, die Zeit, das Engagement – niente! Allerdings wurde ich von der Chefetage aufgefordert, einen Bericht für den Monatsbrief zu schreiben. Stichwort „Außenwirkung“, die will man sich ja nicht entgehen lassen.

Bin ich da pissig? Ich finde, manchmal könnte man mehr Würdigung vertragen. Ein paar Fragen zur Sache. Interesse ist sexy. Fragen sind sexy. Hä? Ja! Ist doch nicht selbstverständlich, was wir da machen.

Als ich noch in Ausbildung war, gab es einen, der in seinem anderen Leben Autor* war. Es wurde darüber gemunkelt. Sein Buch hatte keiner gelesen. Jedenfalls redete keiner darüber. Ich hospitierte bei ihm und lernte viel bei ihm. Ich glaube, bis heute arbeite ich in dem Stil, den ich bei ihm kennenlernen durfte. Manchmal nahm er mich morgens mit zur Arbeit. Fahrgemeinschaft. Er sprach über die Sonnenaufgänge über der Schwäbischen Alb in druckreifen, poetischen Metaphern. Die kamen ihm so. Fingerübungen. Vielleicht fiel es mir leichter ihn zu bewundern, weil ich das Fieber, die Selbstkritik, die Härte schon kannte: Ein Wort zu streichen, einen Vergleich zu ändern, obwohl Wort und Vergleich noch in der Nacht in allen Farben geschillert hatten …

Leute, die was machen, was andere eher mal nicht machen oder nicht in dieser Intensität – schreiben, komponieren, Sachen erfinden – und dadurch hin und wieder die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregen, werden in der Regel von ihrem Umfeld mit Schweigen belohnt. Bevor der Höhenflug einsetzt. Höhenflüge nicht erwünscht. Soziale Kontrolle: Schuster, bleib bei deinem Leisten. (Was dein Leisten ist, betimmten die anderen.)

Ich finde, dass mit unserem Belohnungssystem was nicht stimmt. Mit unserem Anerkennungssystem. Scheint eine ganz schwierige Sache zu sein, etwas anzuerkennen, was ein anderer gemacht hat.

 

*G. Oberlin