B. hat ein ganz tolles Jobangebot in der Türkei. Wir müssen uns schnell entscheiden und wahrscheinlich schon nächsten Monat umziehen. Ruf mich doch mal zurück.
Ich lese die SMS auf dem Weg nach B.N., wo ich eine DVD für meinen Unterricht am Montag abholen will. Der Schrecken schießt wie ein Stromschlag in mich rein. Gestern war doch alles noch so in Ordnung. Und jetzt?
Schwarz, schwärzer, am schwärzesten. Abgründe tun sich vor mir auf. Blicken die denn gar nichts? Wie verrückt tippe ich L.’s Nummer ein. Sie nimmt nicht ab. War ja zu erwarten. Ich tippe nochmal, höre aber mittendrin auf. Nicht zu oft, ermahne ich mich. Wenn bei dir einer fünf Mal hintereinander anruft, bist du auch obergenervt. Also B.’s Nummer. Doch auch B. nimmt nicht ab. Also die Nummer von B.’s Eltern. Die werden doch wohl. Die werden das doch wohl ganz genauso einschätzen. Auf B.’s Eltern ist Verlass. Sind aber offenbar nicht zu Hause. Oder noch im Bett. Oder keinen Bock. Ich renne los, irgendwo muss die Energie hin. Ich bin so aufgebracht, dass ich mein Handy auf die Straße schmeißen möchte. Ich male mir schon den Knall und die übers Asphalt spritzenden Handy-Innereien aus. Das tut gut. Das ist das einzige, was gerade gut tut. Auf einer anderen Bewusstseinsebene teste ich im Schnellverfahren Formulierungen durch. Bloß nichts Besserwisserisches. Dann ziehen die erst recht ab! Nur um dir zu zeigen, was du für eine ängstliche, islamophobe, rassistische Spießerin bist. „Die Türkei ist auf dem besten Weg in den Faschismus“. (Klingt gut.) „Wäret ihr auch nach Hitler-Deutschland gegangen? Wegen einem Stellenangebot?“ (Zu provokant. Löst Widerstand statt Zustimmung aus.) „Was meinst du, warum die euch das anbieten? Weil gerade kein anderer freiwillig in die Türkei geht!“ (Zu abwertend.) „Die Akademiker, die Professoren, die Künstler, die Intellektuellen, die hauen gerade aus der Türkei ab. Und ihr wollt da rein?“ (Exakt! Das werde ich sagen. Das ist mein Einstieg.)
Nach einer Stunde meldet sie sich.
Na, wie gehts?, frage ich harmlos und superpädagogisch.
Und? Was sagst du? Gut, oder? (Meine Tochter! Immer positiv.)
Nee, sage ich. Gar nicht gut!
Wieso nicht? (Künstliches Erstaunen, gepaart mit leichter Gereiztheit)
Weil es gefährlich ist! Seid ihr verrückt? Die Akademiker, die Professoren, die Intellektuellen, die hauen gerade ab, und ihr …
Ach, die Presse übertreibt doch immer. (Die gemütliche Stimme meiner Tochter).
Was meinst du wohl, warum die euch das anbieten? Weil gerade kein anderer freiwillig … aber ihr, ihr glaubt wohl …
April, April!, schreit sie gerade noch rechtzeitig.
Und ich beschließe, meinerseits heute niemanden mehr reinzulegen.