Freitag, im Zug. Die emotionale Abgewandtheit des “Täters” über zwanzig lange Jahre hat natürlich ihre Entsprechung auf der “Opfer”-Seite, diese zu ertragen und gleichzeitig zu glauben, sie durch unermüdliche Bemühungen korrigieren/heilen zu können (was nicht gelingen wird).
Die Korrekturbemühungen des “Opfers” können sogar so weit gehen, ein Buch zu schreiben. (Das, was das “Opfer” am besten kann.) Ein Buch, um den geliebten “Täter” endlich gefühlsmäßig zu erreichen. Durch größtmöglichen Aufwand auf der “Opfer”-Seite eine noch so geringfügige Reaktion auf der “Täter”-Seite hervorzurufen – das würde dem “Opfer”, so wie es drauf ist, ja schon genügen.
Das “Opfer” wird immer leer ausgehen. Die Bemühungen scheinen nie groß genug. Das “Opfer” hat nur eine einzige Möglichkeit, aus dieser Spirale auszubrechen: Es kann sich selbst auf die Spur kommen. Höchstwahrscheinlich hat es eine Geschichte, die ihm die “Opfer”-Rolle nahegelegt hat. Auch der “Täter” hat seine Geschichte, die ihm die “Täter”-Rolle nahegelegt hat. Doch die braucht das “Opfer” nicht länger zu interessieren.
Je mehr es hinter seinen eigenen Vorhang sieht, desto klarer erwächst die Erkenntnis, warum es sich den “Täter” aus freien Stücken angetan hat.
Danach verändert sich alles. In ganz kleinen Schritten beginnt ein faszinierendes Schauspiel. Mit dem Blick zurück sieht das “Opfer”, wie oft es auf der richtigen Spur war, aber seinem eigenen Urteil, seinen eigenen Gefühlen nicht traute. Und dass falsches Erlerntes auch wieder entlernt werden kann.
Dass es Menschen gibt, die keine Opfer einfordern.
Dass es keine Opfer mehr bringen muss.