Une porte condamnée

Samstag, B.N. Eine Stelle, die mich bewegt (aus: Andreas Altmann: Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend, Piper 2011):

Im Französischen gibt es den eigenwilligen Ausdruck “une porte condamnée”, wörtlich übersetzt: eine verurteilte Tür.
Gemeint ist eine Tür, die unpassierbar ist, blockiert. So ein vernageltes Tor hängt auch bei mir, hängt vor jener Herzkammer, die an meinem Geburtstag verbarrikadiert wurde. Auf ewig. Keine Rosskur, auch keine Schreibkunst, wird sie aufbrechen. Auch nicht der Mensch, der bereit wäre, mich zu lieben, schaffte sie – die Tür, eben dieses Wissen der Wertlosigkeit – aus der Welt. Denn ich, und jeder andere mit einer ähnlich vernichtenden Erfahrung, würde die Liebe nicht zulassen. Riecht sie doch nach Unheil, nach Todesangst. Sie ist nicht Liebe, sie ist der Tod. Sich der Liebe ausliefern, als Liebender oder als Geliebter, hieße, ins offene Messer rennen. Deshalb die Tür. Sie bewahrt uns vor dem Messer. All diejenigen, die bedenkenlos und unverbrüchlich geliebt wurden, nennen unsereins einen Feigling. Sie wissen nicht, was sie reden…

… Zudem, gerade als Schreiber sollte ich dankbar sein für die Beulen auf meiner Seele. Sie verhindern, dass ich satt werde und als unheilbar Gutgelaunter die Seiten vollmache. Das Wissen um die eigene Verwundbarkeit macht empfindsamer, durchlässiger, lotet rigoroser die Wirklichkeit aus. Meine Verletzungen sind, so vermute ich, der Eintrittspreis für mein Davonkommen. Andersherum: Hätte ich eine liebliche Kindheit verbracht, ich hätte wohl nie zu schreiben begonnen, wohl nimmer – Tag und Nacht dafür entlohnt – die Welt umrunden dürfen. Ich weiß nicht, ob der letzte lange Satz stimmt, aber er klingt verdächtig wahr.