Verlust der Selbstverständlichkeit

Sechs Jahre ist der Crash jetzt her, dramatisch-peinlich-klischeehaft wie eine RTL-II-Realitydoku-Schmonzette. Ich kann wieder nach vorne schauen, mich über schöne Tage, Herausforderungen und auf die Zukunft freuen. Ich kann wieder lieben. Und so Fundamentales wie essen, einkaufen, was lange Zeit mit Ekel & Widerwillen behaftet war. Aus dem Supermarkt schlugen Flammen bis auf die andere Straßenseite, und wenn der Wahn mal überwunden war und ich endlich drin war und den Einkaufswagen durch die Gänge schob, überkam mich so eine erdrückende Dumpfheit, dass ich mich wie ein Sack über den Wagen hängen wollte, nur schnell das Notwendigste aus den Regalen herausgriff und ebenso schnell wieder nach draußen flüchtete.

An die alte Pein denke ich GsD nicht mehr. Was geblieben ist: wenn ich angelogen werde, sehe ich rot und reagiere blöd und über. Im “Amt” ein nicht eben selten auftretendes Problem, wo das Lügen Teil des Systems ist und als Jugendliche habe ich es genauso gehalten. Jeder muss sehen, wie er durchkommt, das hole ich mir in Erinnerung und weiß dann, dass die Lüge sich aus der Situation heraus als notwendig darstellen kann. Nur nicht in Beziehungsdingen. Da lässt sie sich zwar erklären, aber, als Ausdruck maximaler Ignoranz & Missachtung der Persönlichkeitsrechte, nicht entschuldigen. Weil sie dich dazu bringt, deinen Glauben preiszugeben: an dich und die Welt und an alles.

An die Selbstverständlichkeit.

Ich gehe jetzt schlafen. Ich bin geheilt, ich verzichte darauf, meine Eindrücke, Tag für Tag, in ein schönes neues Heft einzutragen wie die kleinen Mädchen. In einem einzigen Falle nur müsste es interessant sein, ein Tagebuch zu führen, nämlich wenn – (J.-P. Sartre, Der Ekel)