Sonntag, B.N. J. ist wieder fast der Alte. Es geht ihm gut, er kann arbeiten, flitzt mit seinem Sportwagen quer durch die Republik und hat Aufträge. A. passt auf ihn auf. Sie sind so ein attraktives und eingespieltes Zweierteam, dass man sie dauernd anstarren möchte. Für A. ist J. der Schönste, für J. ist A. die Schönste, so einfach ist das. Am frühen Abend gehen wir zu viert – J. & A. + PM & ich – ins Milano, J. hat Geburtstag, den wollen wir feiern und auch, dass er wieder fast gesund ist, es hatte ihn um Silvester herum schlimm erwischt.
Schöne Umgebung, schöne Stimmung, wir haben einen schönen Tisch und lesen in der schönen Speisekarte. Am Nachbartisch sitzt einer mit schiefem Schlaganfallgesicht. Zudem hat eine üble Krankheit ihm die Haut verwüstet, Hände und Gesicht sehen aus wie in körnigen Brei gefallen. Ein Mann wie ein Reptil. Reglos hockt er vor seinem Bier, er trägt einen türkisfarbenen Hoodie und ein Basecap auf dem Kopf, das ist ziemlich daneben in so einem Lokal, aber er kennt Schlimmeres als falsch angezogen zu sein, oder vielleicht hat er nichts anderes. Ab und zu hebt er den Blick, der ist furchterregend flach. Er hat sich ein gutes Essen gegönnt, jetzt sitzt er einfach da wie die anderen Leute auch. Vielleicht ist es genau dieser Gedanke, der hinter seinem versteinerten Gesicht steht: Wie die anderen Leute auch.
Unglücklicherweise kriegt er einen Niesanfall. Ganze Salven feuert er ab, eruptiv wie Raketeneinschläge, das hört nicht auf, das hört nie mehr auf. Die Frau, die seitlich von ihm sitzt, dreht den Kopf und rückt von ihm ab, gerade so viel, dass es nicht unhöflich ist. Der Mann niest weiter, er macht das nicht absichtlich, nur eben viel zu laut und auch Schneuzen hilft da gar nichts.
Da kommt der Kellner mit entschiedenen Schritten herbeigelaufen. Die ganze Zeit hat er auf einen Vorwand gewartet, sagt sein Gang. Jetzt schreitet er zur Tat. Er beugt sich vor und spricht streng zu dem unliebsamen Gast herunter.
Das Niesen hört so plötzlich auf, wie es angefangen hat. Der Mann sitzt und trinkt sein Bier. Wieso gehen?, der Kellner kann ihn mal. Auch er hat sich entschieden. So leicht nicht und nicht mit ihm! Sein Blick fällt auf uns, und der ist kaum auszuhalten.
Weil wir gesund sind und er nicht. Weil der Kellner ihn rannimmt und nicht uns. Weil wir zu viert sind, und er ist allein.