Salat mit Ziegenkäse

Mittwoch, unterwegs. 30 min zu spät fährt er in Eisenach ein, Grund: Reparaturen am Zug. Komisch, nicht Wintereinbruch? Wegen dem wird doch schon seit Tagen Panik geschoben.
In Frankfurt dann: Zug nach Stuttgart fällt aus, laut BahnApp auch gleich noch die drei Folgezüge. Grund: Wintereinbruch, na also. Zum ersten Mal im Leben steige ich ohne Stress aus. Der überüberüberübernächste Zug Richtung Süden geht erst in 1 1/2 Stunden. Die muss ich jetzt irgendwie totschlagen. Weil eisige Schneeböen über die Bahnsteige fegen, suche ich mir einen Platz im Wirtshaus ganz am Ende des langen Frankfurter Bahnhofs, den ich übrigens wunderschön finde.
Mit einer anderen Gestrandeten wechsle ich mich mit Gepäck-Aufpassen ab, um auf die Toilette zu gehen. Ich bestelle Ingwertee und Salat mit Ziegenkäse. Die Bedienung bringt mir ein Bier und später Frankfurter Würstchen mit Kartoffelsalat. Tut mir leid, sage ich beide Male, und sie zieht ratlos wieder ab.
Am Kiosk habe ich mir die Brigitte und die Elle gekauft. Nächstes Jahr angesagt: Schwarz-Weiß-Kontraste, Safari-Look und Paillettenfummel, darin sind sich die beiden einig.
Einigkeit herrscht auch dahingehend, wie es mit mir weitergeht: Pluto wird mein Leben umkrempeln. Noch in diesem Monat will er anfangen. Der große Transformator tritt in Wassermann ein, was nur alle 200 Jahre passiert. Mein Leben wird sich langsam, dafür nachhaltig verändern. Endlich werde ich zu meinen tiefsten Überzeugungen finden. Sozusagen zu mir selbst, nach einem Prozess der Häutungen. Pluto bietet mir direkt auch eine berufliche Veränderung an.
Eigentlich dachte ich, dass es jetzt erstmal reicht mit den Veränderungen – neuer Wohnort, neuer Job, Zusammenziehen mit PM. Aber alles klingt so verheißungsvoll, und obwohl man nichts davon glaubt, will man es glauben. Die Zeitschriften punkten mit Hoffnung- und Mutmachen, das fordert unsere Zeit wohl ein.
Für den intellektuellen Input habe ich mir auch noch das Magazin der Süddeutschen Zeitung gekauft. Auf dem Cover Sahra Wagenknecht. Krieg in Nahost, etwas über ein Ehepaar, das seinem geplanten Tod entgegenlebt, und Kritisches zur Coverheldin holen mich wieder runter auf den unvermeidlichen Boden der Tatsachen.
Wo bleibt der Salat? Eine halbe Stunde von den eineinhalb Stunden ist schon rum, es ist ein sehr seltsames Gefühl für mich, Zeit (Lebenszeit) einfach rumzukriegen. Nun gut, ich schreibe. Nippe an dem (echten) Ingwertee. Als dann die richtige Bestellung vor mir steht, ist das ein Schock für eine, die seit ca. einem halben Jahr die Thüringer Küche goutiert – hab ich hier eigentlich schon mal etwas über die vielen fantastischen Restaurants in Eisenach gepostet?
Ein Haufen Grünzeug, darüber expressionistisch anmutende Spritzer von rosa Soße. Daneben liegt ein ölig glänzender Ziegenkäse, der zwar angebrannt, aber kalt ist. Ich sammle den Dosenmais aus dem Haufen und drapiere die Körner um den Tellerrand herum. Der Glanz auf dem Käse ist gar kein Öl, sondern flüssiger Honig. Ich stelle mir die billigen Zutaten in der Küche vom Wirtshaus vor, höre aber schnell damit auf, weil das nicht zu der anstehenden Veränderung in meinem Leben passt. Der Salat ist nicht gerade billig, sondern mit 14,80€ sogar ziemlich teuer. Wenn ich mich entschließen könnte, dem Wirtshaus auf Instagram zu folgen, so informiert mich ein Flyer, der auf dem Tisch liegt wie früher in der Mensa, dann würde ich 10 % Rabatt bekommen. Dafür müsste ich meine Mahlzeit in meiner Story posten.
Ich finde, das ist ein faires Angebot. Da mein Insta-Accout jedoch brachliegt, poste ich die Mahlzeit (was für ein schönes Wort) lieber hier, in meiner eigenen Story. Noch 23 Minuten. Falls der Zug mein Reiseziel zwei Stunden zu spät erreichen und ich das Fahrgastrechteformular korrekt ausfüllen und abschicken würde, bekäme ich 50 % vom Fahrpreis zurück. Wieviel das wohl bei drei oder vier Stunden ausmacht?
Später: An den Bahnsteigen werden ununterbrochen abwechselnd auf Deutsch und Englisch  die Verspätungen durchgegeben. 40 min, 70, 150 min!
Auch mein Zug kommt eine Dreiviertelstunde später, als die BahnApp verspricht. Fahrplan-Korrekturen gibt es nicht mehr, die Leute von der DB scheinen nicht hinterherzukommen. Vom Warten am Gleis bin ich dermaßen durchgefroren, dass ich keine Fragen stelle. Nach einem weiteren Umstieg in Stuttgart, der sich nur um eine halbe Stunde verzögert, Danke, lieber Gott!, bin ich gegen 23 Uhr in Tübingen und um 23.30 Uhr in meiner Wohnung. Ich gehe den ganzen Weg zu Fuß, ich habe heute viel gesessen.
Der Wintereinbruch hat hier nicht stattgefunden, ein warmer, intensiver Regen empfängt mich und mein Rollköfferchen. Ich war neun statt fünf Stunden unterwegs (die vier Stunden Unterricht am Vormittag erinnere ich kaum noch). Beim InfoPoint an einem der Bahnhöfe habe ich im Vorübergehen einen Stapel Fahrgastrechteformulare eingesteckt. Irgendwie bin ich am Limit.
Vielleicht mache ich das morgen. Oder übermorgen.