Zeitverschiebung

Mittwoch, Lüneburg. Sagen Sie mir mal ein paar Sätze zu Frau Wolf, sagt einer am Telefon, der mich direkt aus dem Mittagsschlaf klingelt.

Ich bin in Lüneburg bei meiner Freundin Veronika. Unser 2-tägiges Klassentreffen in Essen-Werden liegt schon hinter uns, jetzt sind wir für drei Tage bei ihr. In Lüneburg. Ich habe Ferien. Von PM erfahre ich, dass sein 101-jähriger Vater an den Folgen des Sturzes vergangene Woche und der anschließenden OP gestorben ist. Oh mein Gott, der Arme! Der arme PM. Heute kommt er auch nach Lüneburg, natürlich gibt es viel zu besprechen. Ich versuche den Gedankensalat zu ordnen und schlafe darüber ein.

Und dann: Sagen Sie mir ein paar Sätze zu Frau Wolf. Ich sage nichts, schicke ihm statt dessen, während wir miteinander reden, das Print-PDF von Was wirklich zählt – 18 Mal Hoffnung in Krisenzeiten, es ist ja noch nicht auf dem Markt. Er will auch über die Jungen Texte aus Eisenach schreiben, die sind aber erst recht noch nicht zu haben.

Er scheint reell, nicht einer von denen, die für einen Tagesgag ihre Seele verkaufen. Er sitzt also gerade an einem Artikel über beide oder eines meiner beiden Bücher, während ich so weit weg bin. Auch mental. Klassentreffen machen Flashbacks, ob du willst oder nicht. War ich jemals Autorin? Ich bin Mitschülerin, Freundin, Storytellerin. Erinnerungen wiederbeleben, alte Beziehungen auferstehen lassen, als lägen keine Jahre dazwischen. Es ist wie früher, ich lache mit denselben und beharke mich mit denselben wie gehabt.

Unten höre ich Veronika irgendwas rufen.

Ich bin in Lüneburg, und mein Schwiegervater ist gestorben, sage ich zu dem Typen am Telefon. Das tue ihm leid. Er habe den Alten gekannt, von irgendeiner Reportage. Wir verabschieden uns. Ich war ihm keine große Hilfe. Bin gespannt auf den Artikel.