Markus Bell: Als das Wasser kam

Der Unternehmer und Gastwirt Markus Bell in „Was wirklich zählt – 18 Mal Hoffnung in Krisenzeiten“ – erscheint am 27.04.2025

„Ursel und ich waren im Bell‘s, als das Wasser kam.
Am Abend waren wir zur Ahrtalbrücke gegangen, um uns ein Bild vom Stand des Hochwassers zu machen. Ursel hatte schon in ihrer Schule und ich mehrmals im Betrieb nach dem Rechten gesehen. Um Mitternacht wollten wir unserem Sohn zu seinem 18. Geburtstag gratulieren. Auf dem nächtlichen Weg zum Bell‘s merkten wir aber, dass das Wasser in unserer Fußgängerzone vom Kanal her irre schnell anstieg. Hier war überhaupt kein Fortkommen mehr, weshalb wir uns durch die rückwärtige Straße hinten herum Stück für Stück vorarbeiteten. Als wir endlich reinkamen, lösten wir hastig die Gesellschaft auf. Ungefähr 80 Jugendliche waren da am Feiern. Ein paar blieben, um uns direkt zu helfen den Keller leerzuräumen. Noch wussten wir ja nicht, wie hoch das Wasser steigen würde. Wie wild stapelten wir alle Möbel im Erdgeschoss aufeinander. Als das Wasser im Wintergarten einen Meter hochstand, wurde uns klar, dass die Scheiben nicht mehr lange halten würden. Wir sahen zu, dass die Jugendlichen rauskamen, noch funktionierte der Handykontakt zu den Eltern. Es ging alles wahnsinnig schnell. Dann war der Strom weg. Einer schrie: “Hier läuft‘s Wasser von hinten rein!“
Schwallartig schossen die Wassermassen in das Restaurant. Innerhalb weniger Sekunden ging es uns schon bis ans Knie. Wir hinten raus, wo uns eine Nachbarin durch die Flut entgegenwatete. Wir nahmen sie, ebenso wie die Mieter aus dem Hinterhaus, in unserem Bus und im Auto von unserem Sohn mit, das zum Glück auch noch da war.
Ohne groß nachzudenken, fuhren wir in die Weinberge. Dort oben befindet sich die Adenbachhütte. Zu Hunderten rasten die Leute da hoch. Irgendwie war das surreal. Wie im Film. Du hörtest Menschen rumschreien. Es war stockdunkel, nur Handylampen. Viele liefen noch höher die Weinberge rauf, weil sie Angst hatten, das Wasser würde ihnen nachlaufen, aber so weit kam es nicht.
Nach ungefähr einer Stunde bei dieser Hütte packte uns die Unruhe, und wir wollten nochmal versuchen, zu Fuß zum Betrieb zu gelangen. Wir liefen den ganzen Weg wieder zurück, während die anderen alle hoch in Richtung Adenbachhütte strömten. Doch als wir sahen, wie rasend schnell das Wasser anstieg, wurde uns klar, dass das Bell‘s mittlerweile bestimmt zwei Meter unter Wasser stand. Keine Chance, noch was zu retten. Deshalb wollten wir so schnell wie möglich versuchen, hier wegzukommen zu unserem Haus, das zum Glück weiter oben liegt. Aber die Autobahnzufahrt war gesperrt. Lauter Autos kamen uns mit Warnblinkern entgegen, und die Leute riefen: „Ihr könnt hier nicht weiter, die Straße steht unter Wasser!“
Die Zufahrt zur A 61 war von der Flutwelle unterspült worden und komplett weggebrochen. Wir fuhren dann in entgegengesetzter Richtung, in einer langen Schlange von Geisterfahrern, wieder zurück und über irgendwelche Umgehungsstraßen nach Hause.
Das Wasser sank so schnell wie es gekommen war.
Als wir am nächsten Morgen in den Betrieb kamen, stand da unsere Tochter mitten im Schlamm. Sie war als Erste runtergefahren. Kam aus dem Matsch auf mich zu und sagte: „Papa, du brauchst gar nicht nachzugucken, da ist alles kaputt.“
Zertrümmerte Stühle und Tische übereinandergestapelt, überall Schlamm und Dreck, und von der Decke tropfte noch das Wasser. Ich hörte mich sagen: “So, wir müssen ja irgendwie sehen, wie wir hier klar Schiff machen.“
Und da standen auf einmal Bekannte von uns aus Lantershofen, die sagten: „Hallo, hier sind wir. Wir helfen euch.“ …“