Die Holocaust-Überlebende Inge Auerbacher in „Was wirklich zählt – 18 Mal Hoffnung in Krisenzeiten“ – erscheint am 27.04.2025
„Ich bin kein Judenstern.
Ich bin ein positiver Mensch. Für mich sind alle Menschen Stars, Sterne. Das ist meine Stärke. Meine Eltern haben mir das Gefühl gegeben, mich zu beschützen. Das hat mich durchs Leben getragen. Zum Beispiel jetzt – wir haben Corona, und die Leute drehen durch! Sie können nicht raus, na und? Sie haben zu Essen, sie haben ein warmes Zuhause, Fernsehen, Telefon, sie haben alles! Aber sie halten es nicht aus. Die Amerikaner sind sehr spoiled, sehr verwöhnt. Herrgott, wenn die in so ein Lager kämen – sie würden verrückt werden!
In Theresienstadt kamen meine Eltern und ich zuerst auf dem Dachboden der Dresdner Kaserne unter, zusammen mit einer anderen Familie aus Berlin. Wir gehörten zu der Gruppe der schwer Kriegsbeschädigten, wie mein Vater es war. Mit der Tochter der Familie, Ruth, freundete ich mich an. Alle drei wurden 1944 nach Auschwitz abtransportiert, und von da an hörten wir nichts mehr von ihnen. Jahrelang habe ich sie gesucht. Bis ich in Berlin das Haus fand, in dem sie früher gelebt hatten.
Vor dem Haus waren drei Stolpersteine in den Boden eingelassen. Ruth war nicht mal zehn Jahre alt, als sie umgebracht wurde. Wir waren gleich alt, und wir hatten die gleichen Puppen, ein ganz berühmtes Modell von Schildkröt, das extra für die Olympiade 1936 angefertigt worden war. Für uns waren unsere Puppen sehr wichtig. Sie waren das Einzige, was wir im Lager von zu Hause hatten. Die Puppe ist auf vielen Fotos mit mir zu sehen. Eine christliche Freundin meiner Eltern aus Jebenhausen, Theresa, hatte unsere ganzen Fotos während des Krieges im Keller versteckt gehalten. Nach dem Krieg wurde sie von einem amerikanischen Soldaten durch die Tür ihres Hauses erschossen, weil sie ihm nicht sofort geöffnet hatte. Auch so eine furchtbare Geschichte.
Dass ausgerechnet wir als Familie überlebt haben, war reines Glück. Der Vater von Ruth und mein Vater standen bei einer der letzten Selektionen gleichzeitig vor der Frau mit der Schreibmaschine. Der andere hieß Abraham, mein Vater Auerbacher. Unser Name war mit einem roten Kringel markiert. Die andere Familie kam gleich darauf weg, wir blieben. Warum? Das weiß keiner.
An Rache habe ich nie gedacht.
Meine Eltern auch nicht. Wir wollten nur raus, in Amerika ein neues Leben anfangen und einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen. Ich stamme aus einer sehr religiösen Familie. Ich bin jüdisch, das wird mir immer bleiben. Es ist das, was mir Halt gibt.
Das Wichtigste im Leben ist mir Freiheit. Und Freunde. Und dass ich keinen Hunger habe. Freiheit und Sattwerden, das ist das Wichtigste. Mut natürlich auch. Ich denke immer: Wenn das eine nicht geht, geht etwas anderes. So mache ich mir selber Mut. …“