Mittwoch. Wenn ich mit Acht- und Neuntklässlern in die Ausstellung Sieben gehe, wo wir unglaublich starke Bilder vom Erfurter Künstler René Büttner über die 7 Todsünden sehen, und wenn die jungen Menschen plötzlich still werden und die Bilder den Todsünden zuzuordnen versuchen und sich gegenseitig davor fotografieren und überlegen, welches sie am schönsten finden, dann bin ich glücklich.
Wenn sie dann auch noch die Holzplastiken aus dem späten Mittelalter anschauen wollen und die Kunstfertigkeit der alten Meister bewundern, bin ich immer noch glücklich.
Bei der Frage, was ist eigentlich ein Kruzifix?, und wieso hängt da einer am Kreuz?, und was sind das für Nägel in dem seinen Füßen?, kippt meine Stimmung augenblicklich und ich spüre eine immense Ratloskeit in mir hochkriechen.
Wo soll ich anfangen? Bei Adam und Eva. Oder: Der da heißt Jesus. Und die Kreuzigung, tja, das war für die Römer …
Löcher tun sich auf, gigantische Wissenslöcher, die ich kaum füllen kann. Wie geht das? Noch dazu in dieser für die Reformation superbedeutenden Kleinstadt? Wo alles direkt vor der Haustür liegt?
Es ist nicht ihre Schuld. Ich weiß nicht, was sie in Geschichte, in Ethik, machen; ich weiß nur, dass keiner von ihnen am Religionsunterricht teilnimmt. (Ich bin die einzige Relilehrerin an der Schule, es gibt auch nur eine einzige Religionsklasse, die geht von Kl. 5 – 9! und besteht derzeit aus sieben SuS.) Sie denken, RU heißt beten, das wird ihnen eingeblasen von ignoranten Erwachsenen, die es nicht besser wissen.
Am nächsten Tag fragen sie: Wo gehen wir heute hin? Wohin möchtet ihr denn, frage ich, und sie: Wir wollen diese komischen goldenen Steine besichtigen.
Ah, Stolpersteine. Ich erzähle ihnen von der Judenverfolgung, von Enteignungen und Ermordungen, von KZs, vom Eisenacher Entjudungsinstitut, von der Eisenacherin Avital Ben Chorin! Sie haben noch nie davon gehört. Sie sind in der 9. Klasse. Sie sind total konzentriert, wir schauen uns im Internet Bilder aus Dachau und Auschwitz an, dann marschieren wir los. Eine friedliche, interessierte Truppe von RegelschülerInnen. Irgendwas läuft granatenmäßig schief in unserem Land. Arme Jungs, arme Mädels. Wissen alles über sexuelle Perversionen, da macht ihnen keiner was vor. Dafür haben sie Chat GPT.
Vielleicht googelt ihr heute Nachmittag mal Kreuzigung. Nee, keine Sexstellung. Übrigens, Sex kann auch was Schönes sein.
Sie starren mich an. Ich habe das nächste Loch aufgerissen. Aber dafür reicht die Zeit heute nicht.
https://www.eisenach.de/fileadmin/user_upload/Kultur_und_Leben/Thueringer_Museum/Predigerkirche/DL_2S_Flyer-Sieben_250411_K3_A.pdf