Was ich noch zu sagen hätte – Book Release Feier 28.05.2025

Liebe 38 Jungautoinnen und Jungautoren, liebe Gäste,

ich freue mich, dass wir uns so zahlreich hier in dieser tollen Umgebung versammelt haben, um euch zu feiern. Um unser Buch Junge Texte aus Eisenach zu feiern. Dieses Buch würde es ohne euch 38 großartige Menschen gar nicht geben.

Entstanden sind die meisten Beiträge im Deutschunterricht an der Staatlichen Regelschule „Johann Wolfgang von Goethe“ und im Schulungshaus Ziola GmbH, wo ich seit meinem Umzug nach Eisenach arbeiten darf. Ein Zufallsprodukt, also. Aber ein sehr gelungenes, wie ich finde. Einige Geschichten entstanden auch zuhause, nach der Schule in der Freizeit – wenn die Fantasie weiterwanderte und plötzlich in einem Plot Gestalt annahm.

Bevor wir näher über das Buch sprechen, möchte ich mich aber zunächst ganz herzlich bei Ihnen, lieber Herr Dr. Brunner, bedanken, dass wir in diesem einmalig schönen Saal die Veröffentlichung der Jungen Texte aus Eisenach feiern dürfen – im Stadtschloss von Eisenach.

Mein ganz großer Dank gilt auch Thekla Bernecker-Degenhardt vom Eisenacher Kunstverein. Ohne den Kunstverein und die tollen Ideen zur Finanzierung und zur Organisation hätte es mit dem Buchdruck und mit der Feier heute nicht geklappt. Ich danke Dir, liebe Thekla, für Deine Unterstützung und für Deine Geduld und für Deinen niemals endenden Ideenreichtum.

Mein extra großes Dankeschön gilt der Tübinger Kommunikationsdesignerin Christiane Hemmerich. Als Du, liebe Christiane, von dem Projekt Junge Texte aus Eisenach hörtest, hast Du sofort Feuer gefangen und sagtest spontan: „Weißt Du was? Ich schenke euch das Layout und die Covergestaltung.“ Wie wunderbar ist das denn? (Zeigen: Bild von Jasmin Haller)

Auch der Verleger Johannes Bucka von Stellaplan war bereit, mehrere Tage und Wochenenden in die Planung zu stecken. Solche Menschen machen Mut! Das Projekt Junge Texte aus Eisenach ist für mich etwas absolut Gutes. Niemand bereichert sich daran, es gibt keine unlauteren Absichten. Viele Menschen haben viel geholfen, um den Buchpreis mit 8,99 € niedrig zu halten. Und wer nachher noch ein Exemplar erwerben möchte, kann das natürlich gerne tun.

***

Als ich im Sommer 2023 nach Eisenach kam, war das für mich eine Art Blindflug. Ich wusste nicht, was mich erwartete, und vor allem: Ob ich richtig landen würde.

Eine Naturkatastrophe war für meinen bzw. unseren Ortswechsel nach Thüringen verantwortlich: Ich wollte eigentlich zu meinem Lebensgefährten nach Ahrweiler im Rheinland ziehen, doch die Ahrtalflut in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 machte solchen Plänen einen Strich durch die Rechnung.

Die 8 Meter hohe Flutwelle riss nicht nur Bäume, Brücken, Straßen und Autos mit sich, sondern auch Häuser. Und das, was in den Häusern war. Nachdem das Wasser am nächsten Tag wieder sank, war nichts mehr da – außer einer kniehohen Schlammschicht im Keller und im Erdgeschoss, die nach 2 Tagen fürchterlich zu stinken begann: Nach Erdöl und nach Verwesung. Im Keller steckte in dem Schlamm nur noch Kleinholz und Glastrümmer. Im Erdgeschoss waren Möbel und Teppiche verschwunden; stattdessen lagen drei riesige Baumstämme auf der Schlammschicht, und im oberen Stockwerk schwappten Wasserlachen über den Fußboden. Wo einst Türen und Fenster gewesen waren, gähnten Löcher in den Häuserwänden. Die Landschaft war nicht mehr wiederzuerkennen. Straßen und Gärten waren verschwunden, an ihrer Stelle türmte sich der braune Schlamm, aus dem dicke und dünne Rohre herausragten. Aus den Gullis sprudelte braunes Wasser. Es diente den Menschen als einzige Wasserquelle, denn die Kanalisation war komplett zerstört worden.

Mein Lebensgefährte hatte mit seinem Sohn oben im Haus überlebt, im Gegensatz zu drei direkten Nachbarn, die in ihren Häusern ertrunken waren.

„Bis das hier wieder aufgebaut ist, dauert es mindestens 10 Jahre. Was hältst Du von Eisenach?“, fragte er mich, als wir uns einmal ziemlich kaputt vom Schlammschaufeln auf einem Stuhl ausruhten, der seltsamerweise die Wassermassen überlebt hatte. Und ich sagte: „Ja!“ (Er sollte übrigens rechtbehalten, in manchen Straßen stehen die Häuser bis heute leer.)

In den nächsten Tagen kamen Helfertrupps aus allen Richtungen Deutschlands, manche sogar aus der Schweiz und aus Holland, und auch aus Eisenach waren freiwillige Helferinnen und Helfer gekommen, ohne die das Leben im Ahrtal nicht so schnell wieder Fahrt aufgenommen hätte.

Ich beendete meine Arbeit in Tübingen, wo ich bis dahin gelebt hatte, und begann mich in Eisenach zu bewerben und vorzustellen. Schließlich landete ich an der Goetheschule und übernahm den Deutschunterricht in einer 8. und 9. Klasse sowie eine gemischte Ev. Religionsklasse. Später nahm ich außerdem noch einen Lehrauftrag an der Ziola GmbH an, um Euch von der HASA- Gruppe mit dem Fach Deutsch zum Hauptschulabschluss zu begleiten.

Mein erster Eindruck an der Goetheschule war: Überraschung. Ich kam vom Gymnasium und stellte fest, dass die Unterschiede zur Regelschule nicht so wahnsinnig groß waren. Wirklich anders war allerdings die Lautstärke. Und der Umgang miteinander.

Mit „Ey Digga“ angeredet zu werden, fand ich je nach Situation lustig bis gewöhnungsbedürftig. Zeitweise fühlte ich mich direkt in das Filmset von Fack Ju Göhte gebeamt. Ja – Ihr und ich, wir mussten uns aneinander gewöhnen.

Als wir uns am 21. August 2023 zum ersten Mal gegenüberstanden, habt Ihr damaligen 8.- und 9.-Klässler eure neue Lehrkraft eingeschüchtert oder genervt gemustert und euch euren Teil gedacht.

Ich mir auch. Offenbar war meine Art, Literatur im Deutschunterricht zu vermitteln, für euch ungewohnt. (Weshalb mich manche gar für eine Therapeutin hielten und nicht für eine Lehrerin.)

Doch bedeutet Widerstand nicht in erster Linie Herausforderung? Schnell merkte ich, dass Ihr für Literatur ansprechbar wart, dass sie etwas in euch auslöste. Als ich euch einmal Hermann Hesses Gedicht „Im Nebel“ vorlas, das auf die Zeilen endet:

“Kein Mensch kennt den anderen,

jeder ist allein“,

da sagte einer von euch ganz spontan: „Das kenne ich.“

So etwas zu sagen, erfordert Mut. Daran schloss sich eine unglaublich lebendige Diskussion über das Gefühl des Alleinseins an. Das ja jeder von und kannte und kennt. Und wohin dieses Gefühl einen alles so treiben kann.

Solche Highlights waren es, die mich immer wieder von Neuem motivierten. Einmal gab ich euch den Arbeitsauftrag, einen Lieblingsgegenstand aus eurem Zimmer zu beschreiben. Zu beachten war: Ihr solltet 1.) nicht nur das Äußerliche beschreiben, sondern 2.) auch, woher Ihr den Gegenstand habt und 3.), was er euch emotional bedeutet.

Hoffentlich kommt jetzt nicht 25 Mal das Handy, dachte ich noch, aber die Rechnung ging voll auf: Eine Gasmaske, ein Torschützenpokal, eine DDR-Medaille, eine Uhr, ein Haarreif, ein Kissen, ein Kuscheltier, ein Rollladen, ein Buch, eine Strickjacke waren plötzlich Mittelpunkt von Texten, und diese Texte waren brillant und so anrührend, dass mir fast die Tränen kamen.

Nicht nur hattet Ihr die Aufgabe verstanden, nämlich die drei Teile in ein ausgewogenes Gleichgewicht zu bringen, sondern Ihr hattet eure Herzen weit geöffnet. Das war der Moment, als bei mir diese Idee mit dem Buch aufkam. Und gleichzeitig hatte ich die Vision von einer Buch-Feier, um euch bewusst zu machen: Eure Arbeiten verdienen es, genauso, wie wir es jetzt tun, gewürdigt zu werden.

Als ich euch zum ersten Mal mit meiner Idee konfrontierte, stieß sie bei euch auf totale Ablehnung. Ein Buch? Wozu das denn? Ihr fandet sie, gelinde gesagt, ziemlich bescheuert.

Manche Ideen müssen immer wieder von Neuem gestreut werden. Und eines Tages lag das erste Blatt mit einem „freiwilligen“ Text auf meinem Pult. Von da an kamen immer mehr Texte, denn manche von euch begannen auch zu Hause Geschichten zu schreiben.

Stand am Anfang die Beschreibung eines Lieblingsgegenstandes, so folgten bald Erörterungen zu Themen, die uns relevant erschienen. Im nächsten Schritt kamen Kurzgeschichten zu Impulsen wie „Eingesperrt“ oder „Nachts ändere ich mein Leben“ hinzu (alles Ideen der Schüler*innen). An fiktiven Entschuldigungsschreiben übten wir uns in dem Umgang mit Stilmitteln. Weiter ging es mit spannenden Geschichten über Liebe, Mord und viel Geld. Am Ende stehen z.T. krasse, in jedem Fall bewegende Erfahrungsberichte aus manchmal harten Lebenssituationen.

Wenn ich im Deutschunterricht einen guten Text auf eurem Platz entdeckte oder von Euch in die Hand gedrückt bekam, habe ich direkt gefragt, ob ich ihn mitnehmen dürfte. Nach eineinhalb Jahren lag ein stattlicher Haufen zuhause in meinem Regal, und ich fing an, eure Texte abzutippen.

Ihr habt mit euren Texten eure Mitschüler, mich und vor allem euch selbst überrascht. Intuitiv habt Ihr nämlich verstanden, was Kunst ist, im Unterschied zu Kunstgewerbe. Kunstgewerbe ist hübsch und gefällig. Es löst keine Widersprüche aus, Kunstgewerbe ist dekorativ / Deko. Kunst dagegen muss auch mal weh tun. Oder, wie ich es immer predige: Als Künstler – und schreibende Menschen sind Künstler – muss man auch mal die Hosen runterlassen. Bitte nur bildlich verstehen: Ihr wisst natürlich alle, dass das ein Stilmittel ist – eine METAPHER!

Auch ich lasse heute übrigens ein Stück weit die Hosen runter, indem ich hier meinen Autorennamen preisgebe: Ihr kennt mich unter dem Namen Cornelia Keppeler-Grohmann, aber C. Juliane Vieregge ist mein Autorenname. Und ist übrigens kein Pseudonym, sondern ganz einfach mein Mädchenname.

Im Oktober 2024 habe ich dann die ausgedruckten Texte an euch zurückgegeben, ob Ihr überhaupt noch dahintersteht und ob Ihr euch eine Veröffentlichung vorstellen könnt. Inzwischen hatte ich nämlich den Verlag stellaplan für unser Projekt gewinnen können. Es würde also ein richtiges Buch werden, und keine kopierte und zusammengetackerte Blättersammlung. Mit einer richtigen ISBN-Nummer, die es ermöglicht, die Jungen Texte aus Eisenach in jeder Buchhandlung und bei jedem Online-Anbieter zu erwerben.

Das heißt: Eure Texte haben den Verleger überzeugt, sodass er bereit war, das Buch in sein Verlagsprogramm aufzunehmen. Und das liegt einzig und allein daran, dass er eure Beiträge objektiv und wirklich gut findet.

Einige von euch hatten noch Verbesserungsvorschläge. Viele wollten nicht ihren richtigen Namen unter ihren Beitrag setzen. Stattdessen schrieben manche von euch Donald Duck, Bin Laden o.ä. darunter, und es brauchte weitere 2-3 Monate, bis Ihr euch vorstellen konntet, euren Klarnamen in einem gedruckten Buch wiederzufinden. Im Februar war es soweit: Auf einmal wart Ihr alle einverstanden und bereit, eure Beiträge mit eurem korrekten Namen zu unterzeichnen.

Das hat mir gezeigt, wie enorm Ihr im Schreibprozess über euch selbst hinausgewachsen seid!

Ich glaube, es ist eine gegenseitige Win-Win-Situation. Denn auch ich habe in dieser Zeit mit euch zusammen sehr viel gelernt. Nicht nur, dass man seine Augendeckel umklappen und wieder zurückklappen kann. Nicht nur, was Talahon und Talahina sind, und nicht nur, dass Abhauen vor der Polizei keine Straftat ist. Sondern auch, dass Geduld sich auszahlt.

„Schreiben fühlt sich an, als würde ich meine Sorgen in eine Kiste packen.“

Das hat mir einmal eine Schülerin gesagt. Ich finde dieses Zitat so schön, dass ich es an den Anfang des Buches gestellt habe.

Schreiben ist eine Chance, seine Gedanken zu ordnen. Sich über sich selbst und über unsere oft ganz schön komplizierte Welt Klarheit zu verschaffen. Schreibend lässt sich Wut dämpfen, und im Schreiben können wir herausfinden, welche Schritte wir in einer blöden Situation gehen müssen, um diese Situation zu bewältigen.

Ich habe in den 1 ½ Jahren bei und mit euch von mutigen Entscheidungen, vom Leben auf der Straße, vom kalten Entzug, von unfreiwilligen Umzügen gehört. Von persönlichen Prüfungen also – jede für sich eine Heldentat. Bei keinem Arbeitgeber würde man sie erwähnen, weil solche Heldentaten gesellschaftlich eher nicht gewürdigt werden. Das sind sozusagen Erfolge nur vor Euch selbst. Ich bin ganz sicher, fast alle von euch 38 Mitschreibenden haben schon einmal eine sehr schwere Herausforderung bewältigt. Bewahrt diese Heldentaten in euren Herzen und seid stolz darauf. Vielleicht schreibt Ihr ja eines Tages darüber. In ein Tagebuch – oder auch mehr.

Diesen Weg habt Ihr schon beschritten – mit dem Buch Junge Texte aus Eisenach, mit eurem Beitrag zu einem Stück Kultur in und für Eisenach. Jeder von Euch 38 Jungautorinnnen und Jungautoren ist ein wichtiger Teil davon.

Ich wünsche euch, dass Ihr den Blick nach vorne behaltet. Geht weiter. Macht einen großen Bogen um alles, was euch davon abhält, was euch schadet. Macht einen großen Bogen um jede Art von Drogen, die die Sinne und den Geist vernebeln. Bewahrt euch euren schönen, klaren Geist.

Lasst Euch nicht demütigen! Lasst Euch nicht entmutigen! Glaubt fest an euer Talent! Ihr könnt etwas, was sehr viele Menschen da draußen nicht können: Offen zu euren Gefühlen stehen. Eure Gedanken ordnen und die richtigen Worte dafür finden.

Die Jungen Texte aus Eisenach zielt direkt ins Herz. Eure unverschnörkelte, klare Sprache überzeugt aus sich heraus.

Jede einzelne dieser Textperlen ist es wert, nicht zwischen den Blättern im Nirgendwo zu verschwinden, sondern das Licht der Öffentlichkeit zu erblicken. Ohne euch würde dieses Buch nicht existieren. Ein ganz großes Dankeschön an euch ALLE, die ihr eure tollen Texte zur Verfügung gestellt habt, damit viele Leserinnen und Leser ihre Freude daran haben.

Und sich von ihnen inspirieren lassen?