Mittwoch. Was mir nach dem Interview durch den Kopf geht: Es gibt so wunderbare, konstruktive, inspirierende Menschen. Gute Menschen, ohne Ironie und Wenn und Aber, Visionäre. Das muss man sich immer wieder sagen, wenn einzelne uninspirierende, destruktive Personen aus unerfindlichen Gründen Projekte zu boykottieren versuchen und ihre Energie daraus beziehen, andere Menschen zu (be)schäden. Ja, gibts. Leider. Vielleicht sind sie in Wahrheit bedauernswerte Geschöpfe, aber mir fehlt die Lust, mich so weit hineinzubegeben. Weg damit, weg aus meinem Sichtfeld. Ich lasse den anderen den Vortritt. Denen mit Visionen. Die nach vorne schauen und Plan B in der Tasche haben, wenns nicht weitergeht. Die mir vertrauen.
Kategorie: 2024
Endspurt
Montag. Das letzte Interview ist im Kasten: mit Serkan Eren, Gründer und Vorsitzender des internationalen Vereins STELP.
Im Auto (er fuhr nicht selbst) hat er mir gerade 1 1/2 Stunden Rede und Antwort gestanden. Einblicke gegeben in sein verrücktes, wagemutiges Leben zwischen Einsatzorten 3-4 Mal / Monat und seiner Stuttgarter Homebase. Leben in zwei Welten. Im Moment auf dem Weg zum Flieger nach Damaskus. Und trotzdem superfokussiert, präzise.
Extremst spannend: Der ausführliche Bericht über seine Nahtoderfahrung nach dem Unfall. Danach der MindChange … Eren ist definitiv einer, der etwas zu sagen hat.
Nun muss die gesamte Gesprächsaufzeichnung verschriftlichen werden, was erfahrungsgemäß ca. 60 bis 70 Seiten ergibt. Im zweiten Schritt erfolgt die redaktionelle Bearbeitung. Auf die Weise entsteht ein Fließtext, der den jeweiligen Protagonisten aus seiner Sicht erzählen lässt. Das Ergebnis geht wieder zurück an den Protagonisten, der es bei Bedarf nach seinen Maßgaben noch einmal bearbeitet, etwas ergänzt oder streicht, und es letztendlich, wenn alle Änderungen eingefügt sind, freigibt.
Dieses sehr aufwändige Verfahren hat sich für mich bewährt, weil sich so zum einen Fehler vermeiden und zum anderen die jeweiligen Erzählhaltungen am besten einfangen lassen. Menschen drücken sich sehr unterschiedlich aus. Die individuellen Abstufungen sollen in den 18 Beiträgen zu erkennen sein. Meine Protagonist*innen finden sich alle in ihren Texten wieder, das ist meine Bestätigung für eine gelungene Redaktionsarbeit.
Besonders freue ich mich, im Schüren-Verlag veröffentlichen zu dürfen, der hat nämlich soeben den hochdotierten Hessischen Verlagspreis gewonnen. Yeah, Glückwunsch! Gewissenhafte und gründliche Arbeit zahlt sich aus.
In unseren schwerfälligen Zeiten eine wertvolle Botschaft.
Geoffrey Hintons Inkarnation der „Physiker“
Mittwoch, im Zug nach Köln. Seine Arbeit für die KI-Grundlagenforschung brachte „Godfather of AI “Geoffrey Hinton den Nobelpreis ein. Doch der Gottvater entwickelte zuletzt ein gespaltenes Verhältnis zu seiner eigenen Schöpfung.
Vor 10 Jahren kündigte Hinton seinen Job bei Google, um freier über die Risiken der Künstlichen Intelligenz reden zu können. Ihn beunruhige die rasante Geschwindigkeit, mit der die KI-Entwicklung vorangehe, ließ er uns damals wissen. Wir nähern uns einem Szenario, so Hinton, in dem die Computer Ideen zur Selbstoptimierung entwickeln, diese aber nicht mehr von den Menschen kontrollierbar seien. Die KI sei zwar weniger komplex als das menschliche Gehirn, könne jedoch viel mehr Daten sammeln und auswerten und unter den Systemen austauschen und dadurch schneller lernen.
Was wäre, wenn die KI anfinge uns Menschen bewusst zu manipulieren? Im schlimmsten Fall stellte sich die biologische Intelligenz dann nur als Zwischenschritt in der Evolution heraus. Die Digitale Intelligenz würde das ganze menschliche Wissen in sich aufnehmen und wäre nahezu unsterblich, da sie die Hardware beliebig wechseln könnte. Transhumanismus in Reinform!
Auch wenn es ihm rational vernünftiger erscheine, die Entwicklung erstmal zu stoppen, gab sich Hinton bei der EmTech Digital Conference im Mai 2023 realistisch: „Wenn man in einem kapitalistischen System lebt, kann man nicht verhindern, dass Google mit Microsoft konkurriert.“
Die mangelnde Reue des Physikers Geoffrey Hinton ist es, was die unwissende, aber interessierte Bürgerin maßlos verwundert. Wer dächte da nicht an das vergleichbare Dilemma der berühmten Physiker in Dürrenmatts gleichnamigem Stück? Nur, dass diese durchaus Reue zeigen und ihre Konsequenzen ziehen.
Im Gegensatz zu seinen fiktiven Kollegen kritisiert der von Preisen Überhäufte zwar die KI, die er höchstselbst auf den Weg gebracht hat, doch er stellt sein – in seinen eigenen Augen verheerendes – Lebenswerk keineswegs infrage. Das „kapitalistische System“ sei schuld, windet er sich schlau aus der Schlinge. Gegenüber Telegraph äußert sich Hinton in einem Interview:
„Es gibt zwei Arten von Reue. Die eine Art ist, wenn man sich schuldig fühlt, weil man etwas getan hat, von dem man weiß, dass man es nicht hätte tun sollen, und dann gibt es die Reue, wenn man etwas tut, was man unter denselben Umständen wieder tun würde, es aber am Ende vielleicht nicht gut ausgeht. Diese zweite Art von Reue habe ich. Unter denselben Umständen würde ich dasselbe wieder tun, aber ich mache mir Sorgen, dass die Gesamtkonsequenz daraus sein könnte, dass Systeme, die intelligenter sind als wir, schließlich die Kontrolle übernehmen.“
Geoffrey Hinton bedauert demnach die aus der KI entstehenden möglichen Folgen, für die er keine Verantwortung übernimmt, aber er bereut nicht, dass er sie überhaupt entwickelt hat. Inkonsequent? Skrupellos? Auf den eigenen Ruhm fixiert und auf beiden Augen blind für den Rest der Welt?
Ich frage ja nur. Hoffentlich nutzt der Nobelpreisträger, der weiterhin an der Universität Toronto arbeitet, seine KI-Kenntnisse wenigstens dafür, die Sicherheit der künstlichen Intelligenz voranzutreiben. Das schuldet Godfather nämlich den menschlichen Geschöpfen.
Ordnung und Struktur
Donnerstag. Eins meiner Lieblingsthemen: Der Ordnungsgedanke im Barockzeitalter.
Er folgt so einer unheimlich nachvollziehbaren Logik …
Aus dem Chaos des 30-jährigen Krieges gingen die komplexen Bach-Fugen, üppige Kirchenbauten mit viel Gold und Stuck, das Stillleben als eigenständige Gattung der Malerei und – die deutschen Sprachgesellschaften hervor. Die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, sich der Ästhetik von Schrift und Sprache zu widmen, z.B. das Komma durch den Schrägstrich zu ersetzen (man stelle sich vor, da denkt einer mitten im Krieg über die Ästhetik des Kommas nach!), französische Wörter zu eliminieren oder das Figurengedicht zu erfinden, bei dem die äußere Form den Inhalt widerspiegelt.
Das fasziniert mich jedesmal aufs Neue, und dank reichlich mitgeschlepptem Bildmaterial von Vanitas-Stillleben – Totenköpfe, welkende Blumen, Sanduhren, umgekippte Goldpokale, Insekten auf Käse und Schinken- gelingt es tatsächlich, auch meine jungen Menschen etwas aus der Reserve zu locken. Was macht ihr denn so, frage ich sie, wenn ihr innerlich aufgewühlt seid?
Rausgehen, joggen, Gamen, Musik hören, sagen sie. Und dabei eure Gedanken ordnen, bringe ich es paukermäßig auf den Punkt und erzähle, dass manche Leute, statt zu malen / zu dichten / zu komponieren / zu joggen etc.pp., in der Situation anfangen zu putzen, die Wohnung aufzuräumen oder vielleicht erstmal den Schreibtisch oder einen Schrank.
Und plötzlich fällt mir diese Frau ein: Als die Ahrtalflut gerade mal zwei Tage her war und alles aussah wie im Krieg und die Rohre überall aus dem Boden staken und der Schlamm kniehoch in den Wohnungen stand und es nirgendwo Wasser gab außer der Drecksbrühe, die aus den Gullys strudelte, und das ölverseuchte Wasser der Ahr – da holte eben die Frau vom Nachbarhaus einen Eimer Wasser aus der Ahr und fing an ihre Fenster zu putzen. Also die oberen, die noch drin waren, unten gab es ja keine Fenster und Türen mehr, auch bei ihr nicht.
Das fand ich wahnsinnig beeindruckend, dass die ihre Fenster putzte mitten in dem ganzen Chaos, damit sie wenigstens einen Ort in der Welt hatte, der in Ordnung war.
Ich erzähle das, und auf einmal ist es ganz still. Sie hören mir zu und verstehen.
Diese beglückenden Momente sind es, die mir meinen Beruf so liebenswert machen. Auf dem Heimweg gehe ich direkt beim Bachhaus vorbei und frage nach den Gruppenpreisen. Leider zu teuer, da brauche ich gar nicht rückzufragen. Mal sehen, ob sich irgendwas machen lässt.
Im Bachs Geburtshaus mit seiner einmaligen Sammlung alter Instrumente, keinen Kilometer von der Schule entfernt, sind sie alle noch nie gewesen.
Theodor Kornfeld (* 15. Januar 1636 in Herford, † 15. März 1698 in Holte)
Aufsicht
Mittwoch. Stehe ich heute in der Pause bei lauter netten Mädels im Hof, die mich mit ihren skurrilen Geschichten ganz großartig unterhalten, und sage, Leute, ich muss jetzt mal rumschauen, ob es irgendwo Schlägereien gibt, ich bin doch die Aufsicht, da sagt eine: Sie sind nicht wie eine Lehrerin, Sie sind unsere Freundin.
Da bin ich doch einigermaßen platt. Oft genug habe ich als Jugendliche postuliert: Lehrer stehen auf der anderen Seite, auch wenn sie noch so nett tun. Ich war da sehr konsequent. Eine Lehrperson war Feind und konnte nicht Freund sein.
Na ja, höchstens gefühlt. Natürlich hatte ich damals recht. Mit der anderen Seite. Hab mich trotzdem ein Klitzekleinesbisschen gefreut.
Sorge
Dienstag. Wenn nur meine liebe L. wieder gesund wird.
Wir haben das Sagen!
Samstag. Straßenschlachten, vollkommen sinnentleert und nur eruptive Gewalt gegen Polizei, Feuerwehr und Notärzte, machen mir Angst.
Fünf Tote, viele Verletzte, massenhaft Einsätze von Menschen, deren Job es ist, sich auch für Idioten einzusetzen – zusammengenommen lesen sich die Bilder der Silvesternacht 2024/25 wie ein dem Staat ausgestelltes Nichtversetzungszeugnis.
Feuerwerkskörper, die mit dem dumpfen Wums von Kriegsbomben detonieren, um mit der tausendfachen Sprengkraft eines Chinakrachers die Fensterscheiben der umliegenden Häuser zu zerbrechen, sind in meinen Augen kein Feiermedium zum Empfang des neuen Jahres, sondern Waffen. Sind ja auch verboten. Werden aber aus Osteuropa eingeführt und hemmungslos zum Einsatz gebracht, sogar im verschnarchten Eisenach. Destruktion ist die Macht der Ohnmächtigen. Aber mit ihren Kriegsspielen in den Straßen der Großstädte und dem rausgebrüllten Hass auf gesellschaftliche Konventionen haben diese Horden testosterongesteuerter Jungmänner jeden Opferstatus, sofern je vorhanden, ad absurdum geführt.
Stille Tage dazwischen
Samstag. Da isst man noch die Reste vom Feste und hängt ansonsten ermattet in den Seilen. Es reicht gerade so zum Telefonieren, ein bisschen Aufräumen, Filmangucken. Erschreckendes macht die Runde, aber ich zeige Resilienz. Schönes Wort, Schöne Eigenschaft. Der nächste Familientag ist in Planung, soll wieder bei uns stattfinden. Ich bin dabei. Und jetzt erstmal mittagschlafen …
Input
Freitag. Wer sich statt uninspirierendem Presse-und-Funk-Einheitsbrei mehr Gehaltvolles von unabhängigen Denker*innen wie Michael Lüders, Dr. Gabriele Krone-Schmalz, Dr. Svenja Flaßpöhler oder dem Ex-Bundeswehrgeneral Dr. Erich Vad zu hören/lesen/sehen wünscht, der/die muss schon den Freitag abonnieren. Immer wieder Donnerstag weitet er meinen Horizont mit Beiträgen über Leute, die es wagen, sich jenseits des medialen Wunschdenkens über Ukrainekrise, Corona-Aufarbeitung undsoweiter auszulassen, dafür aber nicht mehr eingeladen werden in all die Talkshows und Redaktionsstuben, auf die sie wahrscheinlich sowieso keinen Bock mehr haben.
Ich wundere und rege mich nicht mehr auf. Abonnements mit früher als relevant erachteten Wochenmagazinen habe ich längst gekündigt, die Glotze bleibt weitgehend aus. Meine Inspirationsquellen sind neben dem Freitag die Berliner Zeitung, Flaßpöhlers Philosophie Magazin und manchmal der Cicero.
Reicht ja auch. An ruhigen Abenden liege ich mit einer Tasse Kräutertee auf dem Teppich und lese. Oben Genanntes oder ein Buch. Die gute Laune kehrt zurück, und ich spüre in mir den Herzschlag der Welt.
Voilà
Was wirklich zählt -18 Mal Hoffnung in Krisenzeiten ganz vorne in der Schüren Print Verlagsvorschau Frühjahr 2025. Das wunderschöne, von Christiane Hemmerich gestaltete Cover hat sicher zur guten Platzierung beigetragen. Bin sehr, sehr glücklich. Und erleichtert.