Ordnung und Struktur

Donnerstag. Eins meiner Lieblingsthemen: Der Ordnungsgedanke im Barockzeitalter.
Er folgt so einer unheimlich nachvollziehbaren Logik …
Aus dem Chaos des 30-jährigen Krieges gingen die komplexen Bach-Fugen, üppige Kirchenbauten mit viel Gold und Stuck, das Stillleben als eigenständige Gattung der Malerei und – die deutschen Sprachgesellschaften hervor. Die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, sich der Ästhetik von Schrift und Sprache zu widmen, z.B. das Komma durch den Schrägstrich zu ersetzen (man stelle sich vor, da denkt einer mitten im Krieg über die Ästhetik des Kommas nach!), französische Wörter zu eliminieren oder das Figurengedicht zu erfinden, bei dem die äußere Form den Inhalt widerspiegelt.
Das fasziniert mich jedesmal aufs Neue, und dank reichlich mitgeschlepptem Bildmaterial von Vanitas-Stillleben – Totenköpfe, welkende Blumen, Sanduhren, umgekippte Goldpokale,  Insekten auf Käse und Schinken- gelingt es tatsächlich, auch meine jungen Menschen etwas aus der Reserve zu locken. Was macht ihr denn so, frage ich sie, wenn ihr innerlich aufgewühlt seid?

Rausgehen, joggen, Gamen, Musik hören, sagen sie. Und dabei eure Gedanken ordnen, bringe ich es paukermäßig auf den Punkt und erzähle, dass manche Leute, statt zu malen / zu dichten / zu komponieren / zu joggen etc.pp., in der Situation anfangen zu putzen, die Wohnung aufzuräumen oder vielleicht erstmal den Schreibtisch oder einen Schrank.

Und plötzlich fällt mir diese Frau ein: Als die Ahrtalflut gerade mal zwei Tage her war und alles aussah wie im Krieg und die Rohre überall aus dem Boden staken und der Schlamm kniehoch in den Wohnungen stand und es nirgendwo Wasser gab außer der Drecksbrühe, die aus den Gullys strudelte, und das ölverseuchte Wasser der Ahr – da holte eben die Frau vom Nachbarhaus einen Eimer Wasser aus der Ahr und fing an ihre Fenster zu putzen. Also die oberen, die noch drin waren, unten gab es ja keine Fenster und Türen mehr, auch bei ihr nicht.
Das fand ich wahnsinnig beeindruckend, dass die ihre Fenster putzte mitten in dem ganzen Chaos, damit sie wenigstens einen Ort in der Welt hatte, der in Ordnung war.
Ich erzähle das, und auf einmal ist es ganz still. Sie hören mir zu und verstehen.
Diese beglückenden Momente sind es, die mir meinen Beruf so liebenswert machen. Auf dem Heimweg gehe ich direkt beim Bachhaus vorbei und frage nach den Gruppenpreisen. Leider zu teuer, da brauche ich gar nicht rückzufragen. Mal sehen, ob sich irgendwas machen lässt.
Im Bachs Geburtshaus mit seiner einmaligen Sammlung alter Instrumente, keinen Kilometer von der Schule entfernt, sind sie alle noch nie gewesen.

Theodor Kornfeld (* 15. Januar 1636 in Herford, † 15. März 1698 in Holte)