Geile, absurde Idee

Habe ich heute Morgen gedacht, alles bleibt beim Alten (mit so einer gewissen Müdigkeit/Melancholie)?

Um 11.30 Uhr ändert sich das mit einer einzigen Idee. Wir sitzen beim Frühstück und quatschen über die Weltbühne und deren plötzliches Ende, über Tucholsky, über Antisemitismus, über jüdische Identität, und da steht sie plötzlich im Raum, die Idee. Mit den Händen greifbar. Ich sage zu PM: Ich mach das jetzt. Sofort. Solche Sachen musst du umsetzen, solange du brennst! (Mit du meine ich mich.)

Und PM? Guckt erst verdutzt hinter mir her – ich bin schon auf dem Weg in die Küche -, sagt: Ausgerechnet heute, denk doch lieber nochmal darüber nach!, solche Sachen eben, mit denen du dich oft genug selber ausbremst, dass die geilsten Ideen verkümmern wie altes Gemüse, und dann zieht er seine Jacke über und kommt mit! Er kommt tatsächlich mit, allein dafür liebe ich ihn.

Mehr kann ich an der Stelle nicht sagen, aber den Nachmittag über war ich in einem Gespräch, als hätte die betreffende Person auf nichts anderes gewartet als auf mich, bzw. uns.

Denn ohne PM wäre der Plan nicht so easy aufgegangen. Er ist der Türöffner …

 

Wenn eine Idee nicht zuerst absurd erscheint, taugt sie nichts! (A. Einstein, Mein Motto über 2017)

Kurt Tucholsky feiert Silvester

Was fange ich Silvester an? Diese Frage bewegte schon Teobald Tiger alias Kurt Tucholsky. Seine Antwort darauf – Ratlosigkeit, gefasst in ein Gedicht, das am 30.12.1920 in der Weltbühne veröffentlicht wurde.

Silvester

Was fange ich Silvester an?
Geh ich in Frack und meinen kessen
Blausanen Strümpfen zu dem Essen,
Das Herr Generaldirektor gibt?
Wo man heut nur beim Tanzen schiebt?
Die Hausfrau dehnt sich wild im Sessel –
Der Hausherr tut das sonst bei Dressel -,
Das junge Volk verdrückt sich bald.
Der Sekt ist warm. Der Kaffee kalt –
Prost Neujahr!
Ach, ich armer Mann!
Was fange ich Silvester an?

Wälz ich mich im Familienschoße?
Erst gibt es Hecht mit süßer Sauce,
Dann gibt’s Gelee. Dann gibt es Krach.
Der greise Männe selbst wird schwach.
Aufsteigen üble Knatschgerüche.
Der Hans knutscht Minna in der Küche.
Um zwölf steht Rührung auf der Uhr.
Die Bowle -? („Leichter Mosel“ nur – )
Prost Neujahr!
Ach, ich armer Mann!
Was fange ich Silvester an?

Mach ich ins Amüsiervergnügen?
Drück ich mich in den Stadtbahnzügen?
Schrei ich in einer schwulen Bar:
„Huch, Schneeballblüte! Prost Neujahr -!“
Geh ich zur Firma Sklarz Geschwister –
Bleigießen? Ists ein Fladen klein:
Dies wird wohl Deutschlands Zukunft sein…
Prost Neujahr!
Helft mir armem Mann!
Was fang ich bloß Silvester an?

(Einladungen dankend verbeten.)

Den Zeitgeist ficken

„Der Zeitgeist fickt dich, wenn du nicht aufpasst. Du musst ihn erkennen, aber du darfst ihm keinesfalls die Hand reichen. Um in einer visuell überfüllten Welt durchzudringen, muss eine Nicht-Verabredung mit dem Zeitgeist stattfinden.“

 

Wolfgang Joop im FAZ-Interview: http://www.faz.net/aktuell/stil/mode-design/interview-mit-wolfgang-joop-lachen-ist-laecherlich-14589899.html?GEPC=s2