Noch ein Buch – Junge Texte aus Eisenach

Dienstag. Während kleine Fehlerchen und Korrektürchen in den Druckfahnen von Was wirklich zählt – 18 Mal Hoffnung in Krisenzeiten noch zwischen Verlag und mir hin- und herschwirren und ausdiskutiert werden müssen, steht gleichzeitig mein anderes Buchprojekt fast fertig da: Junge Texte aus Eisenach.
Ich bin nur die Herausgeberin. Es handelt sich um eine Textsammlung von jungen und sehr jungen Menschen, die ich derzeit in Deutsch und/oder Kreativem Schreiben unterrichte – also ein Zufallsprodukt. Aber ein sehr glückliches und gelungenes, wie ich finde.
Die Texte meiner 37 Jungautor*innen habe ich über die letzten eineinhalb Jahre gesammelt, korrigiert, lektoriert und eingegeben / abgetippt. Aus gutem Grund: Ihre unprätentiöse, direkte Sprache zielt direkt ins Herz. Das hier ist kein Mitleidsprojekt! Eher ein Integrationsprojekt. Oder einfach ein literarisches Projekt. Die spannenden, berührenden, aufschlussreichen Texte überzeugen aus sich heraus.
Angefangen haben wir mit der Beschreibung eines Lieblingsgegenstandes. Dann kamen Kurzgeschichten zu Impulsen wie „Eingesperrt“ oder „Nachts ändere ich mein Leben“ dazu (alles Ideen der Schüler*innen). Es folgten Geschichten über Liebe, Mord und viel Geld. Am Ende stehen z.T. schockierende, in jedem Fall bewegende Erfahrungsberichte aus harten Lebenssituationen.
Einige meiner Jungautorinnen stehen nicht gerade auf der Sonnenseite des Lebens. Obwohl zum Teil ganz schön auf sich allein gestellt, sind sie alle ohne Ausnahme großartige, liebenswerte Persönlichkeiten geworden.
Vor eineinhalb Jahren standen wir uns zum ersten Mal gegenüber. Und waren, milde gesagt, irritiert voneinander. Offenbar war meine Art, Literatur im Deutschunterricht zu vermitteln, anders als das, was sie gewohnt waren. Manche Schüler*innen hielten mich gar für eine Therapeutin! Und ich hatte noch nie an einer Regelschule unterrichtet. Zeitweise fühlte ich mich direkt in das Filmset von Fack ju Göhte gebeamt. Doch Widerstand hat mich schon immer zu ganz neuen, individuellen Zugängen herausgefordert. Ziemlich schnell kam bei mir die Idee mit dem Buch auf: Ich hatte plötzlich so eine Vision, wie diese Jugendlichen ein Buch mit ihren eigenen Texten in den Händen halten.
Als ich sie zum ersten Mal mit meiner Idee konfrontierte, stieß sie bei ihnen auf totale Ablehnung! Eine rannte sogar türenknallend aus dem Raum. Ein Buch? Wozu das denn?
Aus Erfahrung wusste ich, manche Ideen muss man behutsam und immer wieder von Neuem streuen. Ich ließ nicht locker. Dann fingen sie an, mir erste Texte hinzulegen. Zögerlich, verschämt, oft ohne Namen. Nach wenigen Wochen lag ein ansehnlicher Stapel bei mir zuhause im Regal.
Sie waren gut, und das sagte ich ihnen. Manche reagierten vollkommen überrascht: Echt? Mein Text gut? Wieso das denn? Ist doch einfach nur ein Text …
Natürlich kann im regulären Schulunterricht keine so intensive an Textarbeit betrieben werden wie das etwa in einer Kreativen Schreibwerkstatt möglich wäre. Doch die Ergebnisse können sich sehen lassen. Inzwischen stehen fast alle zu ihrem vollen Namen unter ihren jeweiligen Beiträgen. Sie haben sich enorm weiterentwickelt. Im Schreiben sind sie über sich selbst hinausgewachsen. Das zu beobachten, ist wunderschön.
Das Projekt  Junge Texte aus Eisenach ist für mich etwas absolut Gutes. Niemand bereichert sich daran, es gibt keine unlauteren Absichten. Viele Menschen helfen viel, um den Buchpreis niedrig zu halten. Der Verleger Johannes Bucka von Stellaplan ist bereit, mehrere Tage und Wochenenden in die Planung zu stecken. Die Tübinger Grafikdesignerin Christiane Hemmerich übernimmt kostenfrei das Layout und die Covergestaltung – wie wunderbar ist das denn?  Der Kunstverein Eisenach unterstützt uns bei den Druckkosten mit der genialen Idee eines Crowdfundings, und alle am Buch Beteiligten verzichte auf ein Autorenhonorar. Damit bekommen wir den Preis für das Buch so weit runter, dass es hoffentlich auch gekauft wird.
Die 33 Jungautorinnen freuen sich schon auf den Tag der Veröffentlichung. Ich stelle mir eine feierliche Übergabe vor. Sie und ihr Buch sollen wertgeschätzt werden. Dafür laufe ich mir gerade die Hacken ab und ernte superpositive Resonanz, etwa beim Treffpunkt Demokratie und beim o.g. Kunstverein Eisenach. Auch eine Lesung in der Eisenacher Stadtbücherei ist in Planung. Für die Feier benötigen wir noch einen Raum, mietfrei natürlich. Da stehen noch einige Gespräche und Treffen mit potentiellen Supportern und Sponsoren an. In Eisenach gibt es ein weitgespanntes Helfernetz, kein Wunder, es gibt ja auch verdammt viele Kids, denen es wirklich nicht gut geht.
Das Buchprojekt hinterlässt Eindruck. Es gibt tatsächlich nichts Vergleichbares. Ich schleppe das Manuskript überall hin mit, aber noch ist es geheim. Bevor ich nicht von allen 37 Jungautor*innen die elterliche Einwilligung zur Veröffentlichung habe, geht gar nichts. Die Einwilligungen alle zurückzubekommen, das ist momentan die eigentliche Hürde …
Jetzt erst verstehe ich selbst die Gleichzeitigkeit: Junge Texte aus Eisenach ist das, was mir Hoffnung macht. Es ist mein Hoffnungsprojekt …