Die Ästhetik des Widerstands

Sonntag. Mit zugewandten, interessanten und interessierten Menschen zusammenkommen – ich lechze nach Input, nach lebendigem Austausch, Gedankenexperimenten, Höhenflügen, Visionen. Nach Menschen, die vorbehaltlos mit mir was anfangen können (ohne: Ach, du bist aus dem Westen?) und ich mit ihnen. Und plötzlich finde ich mich genau unter solchen Menschen wieder. Was eben aus so einer Einladung zum Gänsebratenessen in einen Landgasthof im Westerwald werden kann.
Die Gruppe trifft sich schon seit mehreren Jahren, und jetzt gehören wir, PM und ich, auch dazu. Einfach so. Ohne Anstrengung, ohne Aufregung.
Ich werde mich an dieser Stelle nie mehr über ein marodes, menschenfeindliches Schulsystem auskotzen. Denn ich weiß seit gestern, dass ich in allen meinen Wahrnehmungen richtig liege. Und dass sich nichts ändern wird. Die Gründer einer Lehrerfortbildungsstätte sind auch da, sie hören mir zu, ordnen meine Erfahrungen ein, ziehen eine ziemlich bittere Bilanz. Die in den frühen 2000er-Jahren erfolgreiche und ergebnisorientierte Einrichtung ist nach ihrem Weggang zu einem Rumpf verkommen, der den Schulen und Behörden nicht länger auf die Füße tritt. Im Gegenzug wollen die auch nichts mehr, entwickeln sich zurück zu dem repressiven, Menschen vergeudenden  (jede Menge Schulabbrecher!) Schrei- und Strafsystem, wie ich es kennengelernt habe. Keiner will was vom anderen und bloß keine Reformen! Wer die Ruhe stört, wer Erwartungen weckt, wird geghostet. Jetzt kann ich dieses Verhalten zuordnen.
„Versuche nie die bestehenden Normen zu ändern“, hat mich vor einem Jahr eine kluge Frau gewarnt, die von außerhalb kam und sofort die Strukturen erfasst hatte.
Peter Weiss hat den Begriff von der Ästhetik des Widerstands geprägt. Arbeiten an meinem bescheidenen Platz, so gut wie ich es kann, auch mal etwas mehr als die reine Unterrichtszeit investieren, SuS ernst nehmen und ihre Menschenwürde achten – das ist meine sehr ästhetische Form des Widerstandes.
Beim Frühstück, bevor alle wieder nach Hause fahren, werden Daten ausgetauscht und gegenseitige Einladungen ausgesprochen. Ich bin dabei.