Dienstag. Irgendwann drängt sich die Realität so massiv vor das Wunschdenken, dass Wegschauen nicht mehr funktioniert. Dann geht’s nicht weiter.
Tatsache ist, dass ich hier die Exotin bleibe, warum auch immer. Ich mache nichts Besonderes, und doch wird jede meiner Handlungen voller Misstrauen beäugt, sowohl im beruflichen wie im privaten Umfeld. Was? Das lässt du dir bieten?, staunt mein Bruder, der drei Tage bei uns zu Besuch ist: Warum kündigst du nicht sofort!
Da können unsere West-Mitglieder ja mal sehen, was sich aus so einem alten DDR-Bau noch rausholen lässt, sagt eine von der Frauengruppe, der ich seit kurzem angehöre. Sie ist Anwältin und hat die Frauen zur nächsten Versammlung in ihr schönes Büro geladen, wo wir reichlich bewirtet werden. Ich bin schockiert. Mit keinem Gedanken habe ich an Ost-West-Vergleiche gedacht, habe einfach nur die Einrichtung und die wohltuende Atmosphäre bewundert. Warum schiebt sich immer wieder die Grenze dazwischen, nach über 30 Jahren? Und warum habe ich, seit ich in Ostdeutschland lebe, permanent Schuldgefühle?
Wie kannst du Tübingen gegen Eisenach eintauschen?, blafft die ansonsten nette Kollegin Lena (Name geändert) mich an. Blaffen ist ihre Standardeinstellung, das mag sich jobbedingt so entwickelt haben. Misstrauisch zieht sie die Augenbrauen zusammen wie früher meine Mutter, wenn sie Spionage aus der DDR witterte – mein mystery Kommilitone aus Leipzig, umschwärmter Theologiestudent in Münster …
Ein paar Versuche, ein paar Monate gebe ich mir noch. Ich suche meine Szene, wo ich einfach sein kann, wie ich bin. Wenn ich es verkacke, bin ich mit meiner Weisheit am Ende. Und das passiert mir selten.