Freitag. Gestern Abend im LTT „Palmer – Zur Liebe verdammt fürs Schwabenland“ gesehen. Irres, völlig durchgeknalltes Stück über den Vater unseres Bürgermeisters Boris Palmer. Dargestellt wird er von gleich vier fastmenschengroßen Handpuppen. Hundert Minuten lang brüllen und toben alle Viere durcheinander und jedes zweite Wort ist Nazi! oder Arschloch! – eben wie der alte Palmer so war.
Der könnte auch von fünf oder neun oder hundert Puppen dargestellt werden, weil er fünf- oder neun- oder hundertmal mehr Energie und Brüllvermögen gehabt hat als der Durchschnittsbürger.
Die Figur des alten Palmer wird vom ersten Satz an von seiner jüdischen Abstammung her aufgerollt. Ein sehr eindeutiges Erklärungsmuster, das sich wie eine moralische Fessel um jedes aufkeimende Gefühl von Widerspruch legt.
Ich jedenfalls hatte Angst vorm Obstbauern Palmer. Hinter seinem Marktstand brüllte er mich an, als ich ihn einmal fragte, wie diese und jene Äpfel schmecken, das ging wohl nicht in seinen Remstaler Pomologenschädel rein, dass eine Zwanzigjährige den Unterschied zwischen Jonagold, Elstar, Boskoop oder Golden Delicious nicht kennt. Immerzu brüllte er irgendjemanden an. Er war für mich eher Schwabe als Jude.
Einmal, als er wieder seine Wochenmarkt-Performance abzog, flüsterte mir Herr Simon, der auch Äpfel kaufen wollte und mit dem ich im Institut für Spätmittelalter und Reformation arbeitete, ins Ohr, mit dem müsse man nachsichtig sein, der sei im KZ gewesen. Dieses Gerücht ging um, da verzog man sich, betroffen, schuldbewusst, und ließ sich eben anbrüllen.
Im Anschluss an die Theatervorstellung gab’s eine Diskussion im LTT-Foyer mit Hermann L. Gremliza von konkret und dem ehemaligen Anwalt von Palmer senior, Manfred Künzel. Letzterer hat zwanzig Jahre lang die ungezählten Beleidigungsklagen, Bußgelder und Gefängnisstrafen seines Dauermandanten versucht in Grenzen zu halten.
Während der Vorstellung saß ich zufällig neben Gremliza und fragte ihn gleich mal, ob er für mein neues Buchprojekt zu haben sei, was er leider ablehnte („Guter Versuch, aber: Nein!“). Für private Äußerungen steht er nicht zur Verfügung, der alte Zyniker, aber charmant isser! Obwohl er Schwabe ist!