Flickwerk

Mittwoch, Werne. Eine Beerdigung zu organisieren, ist auch eine Form von Abschiednehmen. Seit Montag damit in Werne beschäftigt. Diese Tage haben so viele Aspekte. Ich schwimme mitten hindurch, und so entsteht ein rätselhaftes Flickwerk. Das schäbige teilanonyme Grab, das mein Vater für sich gewollt hat. Die Stelle daneben, die meine Mutter nicht bekommt (zum Glück). Die städtische Friedhofsordnung. Die Bestatterin mit ihrem pausenlosen Geschwätz. Telefonieren mit Bruder und Schwester, wieder und wieder. Terminverschiebungen. Die Lebensklugheit der langjährigen Betreuerin. Der Gang auf die Ämter. Die Blumenhändlerin, die durch mich hindurchsieht. Die Anzeige, die Karten, das Foto für den Altar. Der Spirituosenladen mit dem besten Limoncello der Welt (kleine Fluchten).  Die alte, zerfallene Schule – fürs letzte Jahr & Abi nach meiner Rückkehr ins Elternhaus –, an der ich mit  meiner alten Schulfreundin I. vorbeifahre. I’.s Zuversicht selbst in den allerbeschissensten Lebenslagen. Der gemeinsame Abend beim Griechen. Mein Hotelzimmer mitten in der Fußgängerzone. Wie eine Nussschale das weiche, weiße Bett. Nachts fällt durch die hohen Fenster der Schein von Lichterketten. Weihnachtsbeleuchtung. Kein Mensch unterwegs. Frühe Geräusche, ein Müllauto, ein Rufen. Dann wieder Stille auf dem kleinen, rechteckigen Marktplatz mit den herausgeputzten Häuschen. Der Tod eines Menschen zeigt die Lücken im gemeinsamen Leben auf. Viele Erinnerungen, aber noch viel mehr Lücken. Zwei Tage in Werne bringen mich meiner toten Mutter näher, als ich der lebenden je gewesen bin.

Und viel Freundlichkeit und Hilfe erfahren. Nun warte ich gespannt auf den Anruf eines oder einer Pfarrer*in. Allen Dreien habe ich immerzu hinterhertelefoniert, vergeblich: Sieben Jahre lang hat keine(r) von denen auch nur ein einziges Mal seinen Arsch in Richtung Altenheim bewegt. Für ein konsequentes Familienmitglied ein Grund zum Kirchenaustritt. Mama war, solange sie konnte, eine treue Kirchgängerin, Kirchensteuerzahlerin und extrem großzügige Spenderin. Weil ich die drei nervte, begannen sie irgendwann das Kirchenblättchen zu schicken (das Mama nicht lesen konnte). Das war für die easyer so.