Programmatisches. Eigentlich

Mittwoch … merkt man es sofort. Wenn einer sich selbst belügt, kannst du das Interview direkt knicken. Lebenslügen lassen sich nur schwer umgehen. Zu pietistisch, zu demütig, zu frömmelnd, um sich im gleichen Atemzug von der Religion zu distanzieren, aber nicht von Gottvater in Gestalt des übermächtigen Vaters – da merkst du gleich, das kann nichts werden.
Große Persönlichkeiten müssen sich oft gegen übermächtige Eltern behaupten, nicht selten ist ihre Größe erst aus diesem Widerspruch entstanden. Das Interview mit Jochen Busse aus Lass uns über den Tod reden ist ein wunderbares Beispiel dafür. Busse weiß, dass die erdrückende Lebenslüge seiner Eltern sein Lebensthema ist. Er hat genug kritische Distanz zu sich selbst, um sie als Triebfeder seiner Arbeit zu erkennen und ironisch damit zu spielen. So einen zu interviewen, ist die pure Inspiration.
Schlecht ist, wenn Du als Interviewer den Kern siehst, den der Interviewte jedoch nicht sieht oder sehen will. Wenn etwa alles, was einer getan hat, dazu dient, den Alten zu entthronen, wenn sein ganzes Leben ein Ätschibätschi gegen die dominante Vaterfigur ist und du ihn direkt darauf ansprichst, und er schlägt entsetzt die Hände vors Gesicht und schreit: Nein!, mit dem Vater sei er immer großartig ausgekommen!, ein großartiger Mensch und so weiter blabla, dann weißt du, dass du ins Schwarze getroffen hast.
Genau hier fängt die Geschichte an spannend zu werden, von hier aus entrollt sich das Lebensdrama. In jeder Biografie gibt es dieses Ereignis oder diese Begegnung oder diesen Unfall oder diesen Zusammenfall eindrücklicher Faktoren, aus dem heraus sich die vergangene wie die zukünftige Entwicklung erklärt. Gibt es aber ausgerechnet an dem Punkt kein Weiterkommen, wird die Spur gekappt und die Worte werden immer vager, solltest du aufhören, deine Sachen einpacken und gehen. Es kommt nichts mehr außer Worte. Leider bist du zu höflich oder hast zu große Erwartungen an einen großen Namen. Der Typ hat ja auch echt was erreicht. Ein riesiges Firmenareal, und überall sind sie präsent: die alten und die neuen Heroen: Drei Generationen stehen hinter diesem Momument der Macht. Du staunst, du bewunderst ihn, du kitzelst ihn: Was geht in Ihnen vor, wenn Sie aus dem Fenster auf Ihr Werk schauen?
Nein, kein Stolz! Das weist er weit von sich. Er hat es lieber mit der Demut. Noch nie ist dir das Wort so inflationär um die Ohren geflogen wie an diesem Nachmittag.
Schade! Das ist keine Geschichte. Oder nur eine halbe, eine unehrliche. Wenn ich die ganze Geschichte schreiben würde, von einem Sohn, der sich mit neuen Ideen vom Gedankengut des Alten absetzt und die Firma erst so richtig groß gemacht, von einem Sohn, der sich emanzipiert und den Vater überflügelt und weit hinter sich gelassen hat, fachlich und vielleicht sogar menschlich, dann hätte er genau diese Passagen gestrichen oder mir die Veröffentlichungsrechte komplett entzogen. Ich habe das schon einmal erlebt, mit einer Lady der obersten bundesrepublikanischen Gesellschafts- und Finanzliga. Viel Gutes tut sie, viel Einfluss übt sie mit ihren Stiftungen und ihren Millionen aus. Ihr freimütig bekanntes Lebensgeheimnis auf Papier geschrieben zu sehen, ging über ihre Kraft. Lebenslügen sind dazu da, Lebenslügen zu bleiben, sonst bricht das ganze System zusammen.
Als Interviewende merkst du das – und spürst eine gähnende Langeweile in dir aufsteigen. Nicht eigentlich. Sondern echt!