Dienstag. Mit einem WarmumsHerzGefühl betrachte ich die Reihen der Highheels, Sneakers und Stiefeletten in unserem neuen Schrankregal. Klar bin ich Schuhfan. Und leide, wenn eins meiner Schätzchen Schaden nimmt. Wie meine linke, schwarze Stiefelette, mit der ich an irgendeiner Betonstufe entlanggeschrappt sein muss, jedenfalls erhebt sich das abgeschürfte Lederdreieck wie Haut über einer frischen Wunde.
Immer wieder ziehe ich es lang, überlege es festzukleben, aber das würde die Sache nur verschlimmbessern. Als ich vor wenigen Tagen ein anderes Paar beim Eisenacher Schuster abhole und seine zweifellos bewundernswerte Arbeit lobe, erzähle ich ihm von der armen Stiefelette. Wie es der Zufall will, habe ich sie gerade an, und der Schuster sagt: Geben Sie mal her.
Vielleicht einfach wieder festkleben?, frage ich besserwisserisch und kassiere einen vernichtenden Blick. Statt dessen greift der Typ, der sich nicht gerade durch Geschwätzigkeit auszeichnet, nach einem Stück Gummi, das er mit einem Zipp-Feuerzeug anzündet. Er wartet kurz, bläst die Flamme aus und reibt das Gummi behutsam über die Schadstelle meiner Stiefelette.
Schicker Schuh, sagt er, während er ihn an eine routierende Bürste hält.
Bitte schön. Er hält mir das frisch polierte Stück vor die Nase: Und? Wo ist die Stelle?
Ich suche und finde – nichts. Der Schuster hebt die Arme wie ein Fernsehzauberer. Er weiß um seine Wirkung, verzieht jedoch keine Miene. Ein echter Profi eben.
Heute Nachmitte sehe ich im Heimkommen schon von Weitem einen Mann, der sich an unserem Eisentor zu schaffen macht. Endlich die Türklinke, auf die wir seit einem halben Jahr warten, denke ich. Der Kerl sieht aus wie mein Schuster, aber das ergibt ja keinen Sinn. Woher kennen wir uns, frage ich im Näherkommen.
Ich bin der Schuster, sagt er, und repariere euer Schloss.
Wahrscheinlich gucke ich etwas dämlich aus der Wäsche, denn er sieht sich zu einer Erklärung veranlasst: Ich habe alle eure Schlösser gemacht. Ich kenne eure Bude.
Aha. An Euer statt Ihrer habe ich mich inzwischen gewöhnt. Dass hier viele sich auf mehrere Handwerke verstehen und Zweitjobs haben, weiß ich eigentlich auch schon. So what?
Der Schuster kennt also unsere Bude. Das wusste ich allerdings nicht. Ob er auch schon das Schuhregal kennt?