Kriegslüstern

Donnerstag. Anton Hofreiter tritt in die Fußstapfen des satiretauglichen ukrainischen Botschafters Melnyk. Während Melnyk das Maß bei seinem Deutsche-Politiker*innen-Bashing verloren hat und nur noch pöbelt, fordert der Grüne Hofreiter gestern: “Wir müssen jetzt endlich anfangen, der Ukraine das zu liefern, was sie braucht, und das sind auch schwere Waffen.” Seine Ansagte erfolgt unmittelbar, nachdem die Ukraine Bundespräsident Steinmeier ausgeladen und ihn zur “unerwünschten Person” erklärt hat. Dagegen beweist Bundeskanzler Scholz durch sein einfach mal nichts Sagen das Rückgrat, den immer maßloseren Forderungen des Selenski-Circles zu widerstehen. Konkret: Der Gier nach Krieg zu widerstehen. Kein Wunder, dass eine österliche Stimmung gerade nicht so wirklich aufkommt. Angst liegt, wie der sinnbildlich braune Saharastaub schon wieder in der Atmosphäre, über den Tagen und macht einen lahm und gefühllos.

Bitte gendern

Übrigens gab es sehr genaue Frühwarnungen von mehreren Wetterdiensten. Diese Frühwarnungen wurden aber nicht ernstgenommen, auch von Umweltministerin Spiegel nicht. Am Nachmittag des 14. Juli 2021, vier Stunden vor der Flutkatastrophe, gab sie eine Pressemitteilung zur Veröffentlichung frei: Das Hochwasser werde nicht so dramatisch ausfallen, es sei „kein Extremhochwasser“ zu erwarten.
Spiegel hat die Mitteilung selbst korrigiert und auf einer Textänderung bestanden: „Bitte noch gendern: Campingplatzbetreiber:innen. Ansonsten Freigabe.“ (Die Mitteilung enthielt Ratschläge für Betreiber von Campingplätzen u.a. ufernahe Betriebe.)
Kurz darauf wurde Staatssekretär Dr. Erwin Manz vom Umweltamt informiert, dass diese Mitteilung eine eklatante Fehleinschätzung weitergegeben habe. Es drohe eben doch eine Rekordflut. Manz entschied sich, eine Richtigstellung auf den nächsten Tag zu verschieben, auch weil Spiegel nicht mehr erreichbar war. 134 Menschen starben allein in Rheinland-Pfalz während der Flut in ihren Häusern oder in reißenden Wassermassen. Darunter die Bewohner eines Behindertenheimes, die aufgrund der Falscheinschätzung nicht rechtzeitig evakuiert werden konnten.

Abgeben

Dienstag. Was für ein Laberrhabarber wegen der zurückgetretenen bzw. zurückbugsierten Anne Spiegel da jetzt in den Medien losgeht! So von wegen die Schuldigen wären keine Einzelpersonen, sondern ganze Teams, und überhaupt sei Teilen und Delegieren von Aufgaben der zeitgemäßere Führungsstil undsoweiterundsofort.
Leider war A. Spiegel nicht die einzige Einzelperson, die bei der Flut versagt hat. Es gab noch viele andere Einzelpersonen, allen voran der untergetauchte Landrat Pföhler, der mittlerweile GSD durch die sehr fähige neue Landrätin Cornelia Weigand ersetzt wurde. Das ist ja nun alles hinlänglich bekannt. Wer ein politisches Amt dieser Kategorie übernimmt, der trägt die Verantwortung. So wie ich in meinem Job Verantwortung trage und jede andere Arbeitnehmerin in ihrem Bereich auch. Und wenn eine Krankheit dazwischen kommt, dann hat man die nicht als Argument zu missbrauchen, das ist unanständig. Ein Amt kann man jederzeit wieder abgeben, wenn man sich aus persönlichen Gründen nicht mehr gewachsen sieht. DAS wäre ein Vorgehen, wie es mich beeindrucken würde.
Spiegel hat das Amt als Umweltministerin von Rheinland-Pfalz nicht nur nicht abgegeben, sie hat sich noch eins und dann noch eins und noch eins draufgepackt. Die mir zu komplexe Ämterhäufung auf ihre Person übernehme ich von Wikipedia:

Spiegel war von (1.) Mai 2016 bis Mai 2021 Ministerin für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz des Landes Rheinland-Pfalz und (2.) ab Januar 2021 zusätzlich Ministerin für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten. (3.) Von Mai 2021 bis zu ihrer Ernennung als Bundesministerin am 8. Dezember 2021 war sie Ministerin im neu zugeschnittenen Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität sowie (4.) stellvertretende Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz. Sie wurde (5.) nach der Bundestagswahl 2021 Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Kabinett Scholz.

Diese Ämterliste sollte bei ihrer Abschiedspressekonferenz eingeblendet werden, dann wäre der Tenor ihrer Performance ein anderer. Es wird Zeit, dass sie die Stühle räumt.

Amtspflicht

Montag. Zwei Politikerinnen führen familiäre Pflichten an, um ihre mehrwöchige Abwesenheit während und nach der Jahrhundertflut vom 14./15. Juli 2021 zu begründen:
Ministerin Ursula Heinen-Esser am 25.03.22: “Meiner minderjährigen Tochter hatte ich nach zwei Jahren Pandemie den Urlaub versprochen.”
Ministerin Anne Spiegel gestern in einer Pressekonferenz: “Die Coronapandemie war für uns mit vier kleinen Kindern eine wahnsinnige Herausforderung. […] Das hat uns als Familie über die Grenze gebracht.” (Gemeint ist wohl: an unsere Grenzen gebracht.)
Aus feministischer Perspektive empfinde ich es als sehr unglücklich, wenn gleich zwei Amtsträgerinnen – die inzwischen zurückgetretene NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) und die damalige rheinlandpfälzische Umweltministerin und aktuelle Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne)* – ihre Kinder und kranken Familienmitglieder vorschieben, wo sie politisch schlichtweg versagt haben. Weil diese allzu durchschaubare Methode hämische Kommentare geradezu produziert. Den Frauen in Führungspositionen haben Heinen-Esser und Spiegel jedenfalls einen Bärendienst erwiesen, doch das nur nebenbei.
Beide Politikerinnen waren während bzw. unmittelbar nach der Flutkatastrophe für mehrere Wochen in Urlaub gefahren. In den Ohren der Flutopfer hören sich ihre Begründungen grotesk an. Von Urlaub können die Menschen aus den betroffenen Regionen nur träumen, nachdem die Wassermassen in einer einzigen Nacht ihre Häuser, ihre Existenzen und in 180 Fällen ihre Leben mit sich gerissen haben.
Beide Umwelt-Politikerinnen geben mit ihren Statements indirekt zu verstehen, dass sie Familie und Beruf nicht unter einen Hut kriegen. Für ein Amt mit hoher (politischer) Verantwortung stellt sich die Problematik der familiären Vereinbarkeit mit Sicherheit in verschärftem Maß. In bestimmten lebensplanerischen Situationen sollte man/frau es dann besser nicht annehmen. Wenn es aber einmal angenommen worden ist, kann in einem Katastrophenfall, der sich im eigenen Bundesland ereignet, der Urlaub eben nicht stattfinden. So einfach stellt sich das für die betroffenen Bürger*innen dar, die in der Flut ihr bisheriges Leben verloren haben, die monatelang Schlamm geschippt und Mauerwerk abgeklopft haben und noch bis heute in Notunterkünften leben müssen (wie zum Beispiel PM).
Die Tausenden von Menschen in den Flutgebieten, die jeden Morgen auf eine radikal zerstörte Landschaft blicken, deren Häuser zum Teil immer noch unbewohnbar sind, die dringend auf Handwerker und immer noch auf die zugesagten Hilfsgelder warten, denen die Verzweiflung an manchen Tagen die Kraft zum Weitermachen raubt, die sind nicht gut auf die politische Riege zu sprechen. Und das ist noch ein Euphemismus.

*vor einer halben Stunde ebenfalls zurückgetreten

Guten Morgen

Sonntag. PM schläft. Erschöpft von Arbeit und Verantwortung, kommt er hier an den Wochenenden zur Ruhe. Die strenge Wochenstruktur, an die ich mich inzwischen gewöhnt habe, tut mir auch gut. Gestern Abend Geburtstagsparty bei K. und H. mit Band im Wohnzimmer und Tanzen und Essen und freundlichen Menschen, die an PMs Schicksal teilnehmen und Zeit finden Fragen zu stellen. Fragen sind auf ganz unironische und unmittelbare Weise sexy.

Uwe Bohm ist gestorben, der Darsteller mit den dunklen Augen im hellen Gesicht, die von abgründigen Verletzungen sprechen und nie von Fröhlichkeit, selbst wenn er lacht. 2009 habe ich ihn im Berliner Ensemble in einer der letzten Vorstellungen des Peer Gynt von Peter Zadek gesehen. Angela Winkler spielte die Mutter, Anouschka Renzi hatte einen spektakulären Auftritt auf einem echten Pferd. Ich hatte wahnsinnig Schwein, noch ein Ticket zu ergattern. Bohm spielte fast die ganze Zeit nackt. Das Stück ging drei Stunden, wenn ich mich richtig erinnere, und er hatte Text ohne Ende. Wie man so viel Text behalten kann und gleichzeitig so hautnah diesen von Konventionen freien Lebenskünstler darstellen, das hat mich von der ersten bis zur letzten Minute gefesselt. Wie traurig! Er ist nur 60 Jahre alt geworden.

28 plus 25 plus 18 Klausuren warten darauf, korrigiert zu werden. Bei manchen weiß ich schon jetzt, dass es meine letzte Korrektur zu diesem Thema ist. Weshalb ich mir zum ersten Mal im Leben Zeit dafür nehme. Ich bleibe bei meiner Entscheidung: Ortswechsel, Themawechsel. Die biographische Kurve geht aufwärts, das ist spannend. Es ist das, was ich will.

 

Gewinnen

Donnerstag. Mit den Bildern von den Gräueltaten von Butscha sind die 27 Millionen durch die deutsche Wehrmacht getöteten Russen endgültig aus dem historischen Gedächtnis / Gewissen gelöscht. Ist ja auch schon verdammt lange her. Schluss mit der Zurückhaltung in der deutsch-russischen Beziehung, sie wird ab sofort als antiquiert gewertet. Entsprechende Uminterpretation erfährt das Konzept Wandel durch Annäherung, das von führenden Politikern plötzlich als fehlgeleitete Idee abgetan wird. Die völlig sinnlosen, brutalen Morde in Butscha beantwortet unsere Regierung mit noch mehr innenpolitischem Beschuss. Die meisten Deutschen befürworten das und haben ein gutes Gefühl dabei.
Die neue Sehnsucht nach Aufrüstung ist auf die deutsche Zivilbevölkerung übergesprungen: „Aufgrund der schweren Menschenrechtsverletzungen durch den geistesgestörten Putin lehnen wir grundsätzlich die Behandlung russischer Patienten ab“, schrieb die Direktorin der Universitätsklinik München in einem offiziellen Schreiben.
Man glaubt an einen sehr schlechten Scherz, doch das geschieht in der Mitte unserer Gesellschaft.
Manchmal scheint es, als wollten die Deutschen den russisch-ukrainischen Krieg gewinnen, endlich einmal, nach zwei verlorenen Weltkriegen. Koste es, was es wolle.

Kehrseite

Montag. Der Krieg wird immer dreckiger. Grausame Bilder aus Butscha – einem Vorort von Kiew – gehen seit gestern um die Welt. Inzwischen sind 300.000 ukrainische Flüchtlinge in Deutschland angekommen. Auch im “Amt” haben wir ab dieser Woche mehrere Kinder aus der Ukraine. Die Armen haben furchtbare Wochen hinter sich, kein Zuhause mehr, Ungewissheit über ihre im Krieg kämpfenden Väter und müssen noch dazu eine fremde Sprache lernen. Von ihren alten Schulen werden sie weiterhin im Fernunterricht beschult, wie lange noch, weiß niemand. Sie können sich sicher sein, dass hier alles für sie getan wird, damit sie und ihre Familien erstmal zur Ruhe kommen. Wieviel sinnvoller ist das, als immer neue Waffen in ihr Land zu pumpen …

Wenn ich T. und E. ansehe, erfasst mich so eine Mischung aus Stolz und Betroffenheit. Sie haben lange gesucht und sich gefunden. Am WE waren wir zusammen essen. T. ist so sicher in dem, was er sagt und vor allem in dem, was er nicht sagt, so feinfühlig, dass es mir immer wieder die Sprache verschlägt.
PM ist angespannt. Heute kommt eine alte Freundin, sie setzt alle Hoffnung auf ihn, und er ist nervös und möchte die Erwartungen erfüllen, helfen, gerade in diesem Fall.
L. ist so weit weg. Fotos von ihr zeigen ein Katamaran vor einem breiten, menschenleeren Strand. Woher hat sie den Mut? Die Eigenständigkeit? Die Abenteuerlust? Stolz und Angst – die Kehrseite macht mich immer demütig.

 

Zeitenwende interpretiert

Samstag. Mit seiner Zeitenwende-Rede hat Bundeskanzler Scholz dem alten Wort neue Bedeutung eingetrichtert: Zeitenwende heißt in seinem Kontext Aufrüstung.
Pazifistische Modelle gelten als überholt in Zeiten, in denen unser Wirtschaftsminister einen tiefen Diener beim Emir von Katar hinlegt, dass man ihm an liebsten tröstend über den Kopf streicheln möchte ob dieses “realpolitisch notwendigen Schrittes”, und in denen unsere grüne Außenministerin die Lieferung von Kampfflugzeugen an eine Kriegspartei fordert. Selbige Außenministerin teilt am 18. März der staunenden deutschen Öffentlichkeit mit: Bei Fragen von Krieg und Frieden, bei Fragen von Recht und Unrecht kann kein Land, auch nicht Deutschland, neutral sein.
Echt jetzt? Wieso nicht? Die Sache scheint so kloßbrühenklar, dass auf Begründungen verzichtet werden kann. Debattenkultur ist ebenso gestrig wie Pazifismus bzw. Neutralität. Angesagt ist, wer sich emotional reinschmeißt. Die modische Militärbegeisterung hat nicht nur die Medien, sondern auch die Menschen auf der Straße ergriffen (während sie mit ihren Einkaufstüten durch die Fußgängerzonen schlendern und sich selbst und ihre Kinder in Sicherheit wissen). Der auferstandene Militarismus schweißt “uns” zusammen, so im Sinne wir gegen Putin einschließlich der kuscheligen Empörungskultur gegen alles Russische. Als gäbe es keine deutsche Vergangenheit, die uns Besseres lehren müsste. Noch schlimmer: Als wäre der neue Militarismus Voraussetzung für eine Zeitenwende gemäße Moral!
Wer Panzerfäuste, Flugzeuge, Drohnen für die Ukraine mit Daumen hoch abnickt, ist ein besserer Mensch. Wer immer noch Friedensbotschaften hinterherhinkt, ist nicht nur oldschool, sondern verwerflich.*
Ich fühle mich weder militär- noch energietechnisch mental oder faktisch dazu verpflichtet, für die Ukraine in den Krieg zu ziehen. Der tägliche Dauerbeschuss mit Forderungen nach Waffen und Flugzeugen, nach Sanktionen gegen Russland inklusive Gasausstieg des ukrainischen Oberhäuptlings bestürzt mich: Sanktionen haben politisch noch nie Wirkung gezeigt, und Bomben noch weniger. Auch bin ich nicht in der Lage, die Sympathieverschiebung in Richtung Katar/Saudi Arabien/VAE nachzuvollziehen. Skrupellose Mörderstaaten, die ihre Bevölkerung und besonders Frauen in sklavenähnlicher Abhängigkeit halten, um sich und ihre Klans zu bereichern, widersprechen massiv der vorgeblich “wertebasierten, feministischen Außenpolitik” unserer Regierung. Habecks tiefer Diener beleidigt mich persönlich.
Ich habe mich zu derlei parteinehmenden Verpflichtungen auch nicht motiviert gesehen, als die USA völkerrechtswidrig in den Irak eingefallen sind. Die neudeutsche Konsensgesellschaft übrigens auch nicht, die gab es ja so in den Jahren 2003 ff noch nicht, trotz der moralbeanspruchenden “Allianz der Willigen” – Schröder sei ausdrücklich Dank!
Wer mir / uns erzählt, noch mehr Waffenlieferungen an die gerechte Kriegspartei beenden den Krieg, der lügt mich / uns an. Es gibt keinen gerechten Krieg, Krieg ist immer unrecht. Und jede Partei, die sich daran beteiligt, beteiligt sich am Unrecht, nicht am Recht. Selenskij in seinem symbolträchtigen NATO-T-Shirt befeuert allmorgendlich & allabendlich die Weltöffentlichkeit mit kriegstreiberischem Getrommel, ehrenvoll sei es, für das Vaterland zu sterben. Wer das so sieht, soll es tun, aber nicht andere Länder auf der Moralschiene reinziehen. Wer das nicht so sieht, hat das Recht, sich an dem Kriegsgetrommel nicht zu beteiligen.
Ach ja – Zeitenwende zeitgemäß interpretiert heißt m.E.: Alle Kraft, Geld und Energie in pazifistische politische Modelle zu investieren. Alles andere redet der Doppelmoral das Wort.

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*Off Topic, Ummünzung Moral in Militarisierung: Am 26. Mai 1932 sah sich die Kirchenpartei der “Deutschen Christen” in ihren Richtlinien vor die wahrlich schräge Aufgabe gestellt, nationalsozialistische Werte mit christlichen Werten auf einen Nenner zu bringen. Volkstum, Vaterlandsliebe, Nation standen ganz oben auf der Werteskala, Pazifismus war pfui bäh.
Dabei entstanden so abstruse Sätze wie diese: “Wir wollen, daß unsere Kirche in dem Entscheidungskampf um Sein oder Nichtsein unseres Volkes an der Spitze kämpft. Sie darf nicht abseits stehen oder gar von den Befreiungskämpfern abrücken . [..]
Wir wollen eine evangelische Kirche, die im Volkstum wurzelt, und lehnen den Geist eines christlichen Weltbürgertums ab. Wir wollen die aus diesem Geiste entspringenden verderblichen Erscheinungen wie Pazifismus, Internationale, Freimaurertum usw. durch den Glauben an unsere von Gott befohlene völkische Sendung überwinden.”

Ich hoffe nur, dass wenigstens unsere Kirchen sich in der aktuellen Situation zum urchristlichen Wert des Pazifismus bekennen …

 

 

Depardieus Hintern

Mittwoch. Es langweilt mich, über die ab Montag geltenden Lockerungen der Corona-Regeln zu schreiben. Die Infektionen steigen weiterhin steil an, und Lockerungen zu diesem Zeitpunkt scheinen widersinnig. Andererseits sind die Erkrankungen längst nicht mehr so schlimm wie am Anfang, andere Länder wie die Schweiz oder Holland haben sämtliche C-Regelungen sogar komplett aufgehoben, ohne dass ihr Gesundheitssystem zusammenbricht.
Die Menschen um mich herum sind in sehr gedrückter Stimmung. Es gibt zu viele schlechte Nachrichten und kaum gute. Mittlerweile suchen vier Millionen Geflüchtete aus der Ukraine eine Bleibe zum Überleben, die meisten davon Frauen mit ihren Kindern, während ihre Männer im Krieg sind. Die Natur tut ein Übriges: Trockenheit ohne Ende, schon wieder Staub aus der Sahara statt dem dringend notwendigen Regen. Und das im März …
Der brutale Krieg in der Ukraine hält an, die Verhandlungen stocken, die deutsche Politik plant den Komplettausstieg aus russischen Gaslieferungen, und das funktioniert ja wohl nur über Lieferungen aus Katar u.ä. und (Wieder)aktivierung von Kernkraftwerken. Greenwashing, wohin das Auge reicht!
Meine persönliche Meinung: Habeck und Baerbock machen genau die Politik, vor der ich mich schon im Vorfeld der Ampel gefürchtet habe. Ich finde also gar nichts gut daran, wie sie sich schlagen. Vielleicht fehlt mir die Fantasie, was an Habecks tiefem Diener vor dem Scharia-Emir von Katar besser sein soll als das Gas weiterhin aus Russland zu beziehen. So oder so finanzieren wir energiegefräßigen Europäer einen Krieg mit: hier gegen die Ukraine, dort gegen den Jemen, warum der eine weniger katastrophal als der andere sein soll, entzieht sich meinem Verständnis. Das sind die Früchte der Globalisierung, neben all den wunderbaren Handelsbeziehungen, ohne die es angeblich keinen Fortschritt / keine Zukunft gibt.
Wertebasierte Politik? Feministische Außenpolitik? Meine Werte und mein Verständnis von Feminismus sind darin jedenfalls nicht enthalten. Ich will definitiv kein Gas und kein Öl von Ländern, die reihenweise Systemkritiker*innen hinrichten wie in Katar – s. aktuellen Amnesty International Bericht -, und vom Mörderprinzen von Saudi-Arabien, der missliebige Personen gerne mal im Ausland ermorden und in Säure auflösen lässt, erst recht nicht. Alles andere lieber als das!
Was mir auffällt: Ich bin zunehmend empfindlich gegen Verlogenheit. Wir leben in einer permanenten Doppelmoral, und unsere Politiker*innen gehen da munter voran. Ich versuche, bei mir zu bleiben. Das Unbehagen an der politischen Kultur durch Privatheit auszugleichen. Ich stelle zum Beispiel fest, dass ich erklärtermaßen mehreren Menschen fehlen werde, wenn ich von Tübingen weggehe. Das macht mich melancholisch und freut mich aber auch. Am WE treffe ich mich mit meinem lieben T. und E. zum Haaggassenflohmarkt und anschließend gehen wir essen. Meine liebe L. ist für drei Wochen in einem Land, von dessen Existenz ich bislang nichts wusste: Antigua und Barbuda heißt es, ich musste es googeln, und nun freue ich mich schon, bei aller Angst, die ich um sie habe, wenn sie wieder zurück ist. Mit meinen Freundinnen Mecki und Susanne stehe ich in regelmäßiger Verbindung. PM ist so tief in meinem Herzen verwurzelt, dass ich mir ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen kann. Dafür bin ich dankbar, das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Mein Entschluss, mit der Arbeit im “Amt” aufzuhören und nur noch zu schreiben, wird gerade torpediert durch Angebote aus dem “Amt”, doch wenigstens in kleinerem Umfang weiterzumachen. Meine Entscheidung war schon gefallen, jetzt werde ich wieder unsicher. Andererseits: mehrere Optionen zu haben ist eindeutig besser als gar keine.
PMs Vater geht es schlecht. Der alte Herr hat Corona überstanden und war schon wieder auf dem Weg der Besserung. Doch heute morgen wurde PM benachrichtigt und sprang sofort ins Auto und donnerte nach Eisenach. Endgültiger Abschied zum wievielten Mal? PMs Vater und meine Mutter – das verbindet uns, Todessehnsucht und Versessenheit aufs Leben ist eine Mixtur, die geeignet ist, die Angehörigen auf Trab zu halten. Lebenslänglich. Da ist die Frage: Wie werden wir es einmal halten, wenn wir alt sind? Man kann daraus nur lernen, ändern nichts.
Aus dem Augenwinkel sehe ich den nackten Gérard Depardieu in der Glotze. Ein ekelhafter Sack, ich mochte ihn nie, und dennoch hat er einen schönen Hintern. Das ist hochsymbolisch, oder liegt das an dem Limoncello, den ich mir gerade genehmige, oder wie? Ying und Yang, der schöne Hintern vom grässlichen GD … hat direkt was Tröstliches.