Corona Diary – Unordnung

Samstag. Ordner und Bücher, die sonst immer schön separiert von my Sweet Home in meinem Fach im “Amt” liegen, liegen jetzt auf dem Boden und auf dem Esstisch verteilt. Wie in meiner Wohnung sieht es auch in meinem Gehirn aus. Manchmal renne ich raus, gehe mit Moni oder Mecki spazieren, kaufe irgendeinen Unsinn bei Drogerie Müller – einem der wenigen Geschäfte, die außer Lebensmittelläden noch geöffnet sind – oder stapfe durch den Schnee ins “Amt”, um weitere Materialien ranzuschaffen und andere versprengte Seelen anzutreffen, denen es auch nicht besser geht, die mit Moodle auch nicht besser klarkommen. Sehr beruhigend, solche Infos. Seltsamerweise dringen sie nicht nach außen. Alle Welt denkt, das seit ca. 500 Jahren bestehende und im Wesentlichen unveränderte Schulsystem habe sich durch Zauberhand in wenigen Monaten umgeswitcht. Nur lassen sich Menschenhirne nicht so leicht umswitchen, vielleicht, weil sie es gar nicht wollen?
Heute Nachmittag kommt Moni zu mir nach Hause und bringt mir weitere Moodle-Funktionen bei (in Ermangelung einer korrekten IT-Fortbildung für uns Lehrende, die sich das Kultusministerium komplett spart nach dem Motto „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!“). Lernen von lauter Mist, der mir nichts bedeutet. Angst den Überblick zu verlieren.
PM abgesagt, Schnee und Glätte vorgeschoben, dabei ist es die uferlose Arbeit im “Amt”. Dazwischen bringe ich Pakete weg und bekomme welche. Bei Kleiderkreisel, was jetzt Vinted heißt, läuft ein reger Handel, bald bin ich alle meine ausrangierten Sachen los und erwerbe im Gegenzug schöne Teile, die ich mir normal nicht leisten würde. Die Bags von Michael Kors haben es mir angetan. Auf Kleiderkreisel bzw. Vinted gibt es Mädels, die ihre Michael-Kors-Sammlungen AUFLÖSEN! Das erste Mal habe ich es nicht geglaubt, inzwischen nehme ich zur Kenntnis, dass manche Achtzehnjährige von ihrem Luxus so ermüdet sind, wie ich es niemals sein werde. Ich nehme sie gerne, diese komplett ungetragenen, zum Teil noch original verpackten Dinger. Ich freue mich daran, ich benutze sie, ich habe jetzt auch eine SAMMLUNG!
Dann wieder ein Telefongespräch, eine Verabredung für später …, ein Licht im Dunkel, Ansätze von Plänen, Projekten. Das sind die Highlights der Tage, die ansonsten so kommunikationslos und ereignislos dahinplätschern wie ein unendlicher Strom. Dabei sind sie MEIN LEBEN! Unser aller Leben, ausgebremst und zur Unkreativität verdammt, und jetzt soll nochmal nachjustiert werden: Kommenden Dienstag gehen die Ministerpräsidenten mit Merkel wieder in Klausur, um über noch schärfere Maßnahmen zu beratschlagen. Gemunkelt wird von einem 24-Stunden-Lockdown (ping! ping! heute Nacht um 2.31 Uhr auf der hysterischen LehrerWhatsApp) Die Fallzahlen der Infektionen gehen nämlich nur sehr zäh runter und die Todeszahlen gar nicht, im Gegenteil steigen sie sogar.
Die Gesamtsituation ist anhaltend bedrückend und betrübt die Seele. Man wird langsam komisch. Jeder Mitmensch eine potentielle Gefahr: man wechselt die Straßenseite, wendet den Kopf ab, versteckt sich hinter Maske und Wollschal. Die Aerosole … Wörter, die man bis vor einem Jahr nicht draufhatte. Der Schnee rieselt, die Geräusche sind runtergefahren, alles ist weiß und unwirklich.